1905 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Johansen, Christian, Alberti, Christian, Sach, August, Keck, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 17
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
47. Hans im Glücke.
47
Bald kam ein Bursche desselben Wegs und holte den Hans ein, der trug
eine fette, schwere, weiße Gans im Arm, grüßte Hans, und da sie miteinander
ins Gespräch kamen, erzählte er ihm, daß die Gans zu einem Kindtaufsbraten
bestimmt sei. Das müßte ein Braten werden, der seinesgleichen suche. Dabei
ließ er die Gans den Hans in der Hand wiegen und unter den Flügeln die
Fettklumpen befühlen.
„Die Gans ist gut, mein Schweinchen da ist aber auch kein Hund!" sagte
Hans. „Wo hast du denn das Schwein her?" fragte der Bursche, und Hans
erzählte, daß er es vor kurzem erst erhandelt. Da sah sich jener bedenklich um
und sprach: „Höre, ein Wort im Vertrauen! Da hinten im letzten Dorfe ist
dem Schulzen alleweil ein junges Schwein gestohlen worden. Der Dieb hat's
an dich verpascht, und wenn jetzt der Flurschütz uns nachkommt, — mich deucht,
ich sehe seinen Spieß schon dort über den Kornähren blinken, — so faßt er dich
für den Dieb, und du kommst, statt mit dem Schwein in die Küche deiner
Mutter, in des Teufel Küche!"
„Ach du mein lieber Herrgott! Was bin ich für ein Unglücksvogel!"
schrie Hans. „Hilf mir doch um Gotteswillcn, guter, liebster Freund!"
„Weißt du was?" sprach der Bursche; „geschwind gib mir das Schwein
und nimm du meine Gans! Ich weiß hier herum die Schleichwege, und ich
will mich schon unsichtbar machen!"
Gesagt, getan, Handel geschlossen, und in zwei Augenblicken waren Bursch
und Schwein dem Hans aus den Augen. „Bin ich doch ein Glücksvogel!"
lachte Hans innerlich und trug die Gans eine gute Strecke. Vom Flurschütz
oder sonst einem Nachsetzenden war nichts zu sehen. Hans berechnete den guten
Braten, das Fett, die Federn, die Freude seiner Mutter; und so kam er in das
letzte Dorf vor dem seinigen. Da stand ein Scherenschleifer an seinem Karren,
der sah ganz fröhlich aus, schliff und pfiff und pfiff und schliff, daß es nur so
schnurrte; dann sang er einen lustigen Gassenhauer:
„Ls kam ein junger Schleifer her,
schliff die Messer und die Scher'!
Hat's gern getan,
tut's noch eimnal,
was geht's dich an?
was hast du denn davon?"
Hans blieb ganz verwundert stehen mit seiner Gans und hatte seine Ver-
wunderung über des Schleifers Lustigkeit; dann bot er ihm guten Tag und
fragte: „Euch geht's gewiß recht gut, daß Ihr so lustig und fröhlich seid?
Wer's doch auch so hätte!"