1872 -
Halle a/S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Keck, Heinrich, Meyn, Ludwig, Sach, August
- Hrsg.: Johansen, Christian
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
über dort bleiben konnten. Da eilte Friedrich mit 34,000 Mann aus Sach-
sen herbei, vereinigte diese mit den 16,000 Mann, welche von dem geschlage-
nen Heere des Herzogs von Bevern übrig waren, fest entschlossen, die Feinde
anzugreifen, wo er sie nur fände, „und wäre es," wie er sagte, „hoch auf
dem Zobtenberge." Bei Leuthen, zwischen Breslau und Nenmarkt, stieß er
auf den Feind. Der Herzog Karl, an der Spitze von 80 bis 90,000 Mann,
sah mit Geringschätzung auf die kaun: 30,000 Mann zählende preußische Ar-
mee, die er spöttisch „die Berliner Wachtparadc" nannte. Friedrich aber
berief seine Generale und Offiziere zusanuncn, schilderte in begeisterter Rede
die Größe der Gefahr, in welcher das Vaterland schwebte und bei welcher er
nur von ihrem Muthe, ihrer Standhaftigkeit und Vaterlandsliebe die Rettung
erwarten könne. „Ich werde gegen alle Regeln der Kunst," fügte er dann
hinzu, „die beinahe dreimal stärkere Armee des Prinzen Karl angreifen. Es
ist hier nicht die Frage von der Anzahl der Feinde, noch von der Wichtigkeit
ihrer Stellung: alles dies, hoffe ich, wird die Herzhaftigkeit meiner Truppen
und die richtige Befolgung meiner Anordnungen zu überwinden suchen. Ich
muß diesen Schritt wagen, oder es ist alles verloren; wir müssen den
Feind schlagen oder uns alle vor seinen Batterien begraben
lassen. So denke ich, — so werde ich handeln. Machen Sie diesen mei-
nen Entschluß in der Armee bekannt, bereiten Sie den gemeinen Mann zu den
Auftritten vor, die bald folgen werden. Im Ucbrigen, wenn Sie bedenken,
daß Sie Preußen sind,, so werden Sie sich gewiß dieses Vorzuges nicht un-
würdig machen; ist aber der eine oder der andere unter Ihnen, der sich
fürchtet, alle Gefahren mit mir zu theilen, der kann noch heute seinen Abschied
erhalten, ohne von mir den geringsten Vorwurf zu leiden!" Aus aller Angen
leuchtete ihm auf diese Anrede nur tiefe Rührung und feuriger Kriegsmuth ent-
gegen, und so fuhr er fort: „Schon im Voraus hielt ich mich überzeugt,
daß keiner von Ihnen mich verlassen würde, — ich rechne also ganz aus Ihre
treue Hülfe und auf den gewissen Sieg. Sollte ich bleiben und Sie für Ihre
geleisteten Dienste nicht belohnen können, so muß es das Vaterland thun.
Gehen Sie nun ins Lager und wiederholen Sie den Regimentern, was Sie
jetzt von mir gehört haben." Einen Augenblick hielt er inne, dann fügte er
mit ernstem Ausdruck hinzu: „Das Regiment Kavallerie, welches nicht
gleich, tvenn es befohlen wird, sich unaufhaltsam in den Feind stürzt,
lasse ich gleich nach der Schlacht absitzen und mache es zu einem Garnison-
rcgimente! Das Bataillon Infanterie, das, cs treffe, worauf es wolle, nur
zu stocken anfängt, verliert die Fahnen und die Säbel, und ich lasse ihm die
Borten von der Montirung abschneiden! Nun leben Sie wohl, meine Herren,
in Kurzem haben wir den Feind geschlagen, oder wir sehen uns
nie wieder."
Die Begeisterung, welche Friedrich durch diese Rede den Offizieren ein-
geflößt, ging bald aus die gesammte Armee über: tut ganzen Lager ertönte
lauter Jubel. Die alten Krieger reichten sich wechselseitig die Hände und
beschworen ihre jungen Kameraden, dem Feinde muthig unter die Augen zu
treten. Frohe Siegesbegeisterung durchdrang alle Herzen.
Am Morgen des 5. December (1757) zog Friedrich an der Spitze der
„Berliner Wachtparadc" dem übermüthigen Feinde entgegen. Ehe er die
Schlacht begann, rief er einen Offizier mit 50 Husaren zu sich und sagte