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1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 351

1872 - Halle a/S. : Buchh. des Waisenhauses
351 Prozession anzuschließen, wurde, mit Ausnahme weniger, unter diesem Hause begraben. Neun Zehntel der schönen Stadt Caracas stürzten völlig in Trümmer zusammen. Die Häuser, welche nicht einsielen, waren dergestalt gesprungen, daß es niemand wagen durfte, sie zu bewohnen. Die Hauptkirche, welche durch große Strebepfeiler gestützt ist, blieb stehen. Unter die 9 biö 10,000 Menschen, welche oben als die Zahl der durch daö Erdbeben Getödtetcn angegeben wurden, sind nicht die Unglücklichen mit einbegriffen, welche schwere Verletzungen erlitten und erst mehrere Monate später aus Mangel an Nahrung und gehöriger Pflege ihren Geist aufgaben. Die Nacht nach dem ersten Ostertage zeigte die herzzerreißendsten Scenen von Elend und Kummer. Die dicke Staubwolke, welche sich über die Trümmer der Stadt erhob und gleich einem Nebel die Luft verdunkelte, hatte sich wieder ans den Erdboden herabgescnkt; die Stöße hatten aufgehört; eö herrschte nie eine schönere und stillere Nacht; der Mond, dessen Scheibe fast voll war, beleuchtete die runden Gipfel des Gebirges, in dessen Thale Caracas liegt, und die Heiterkeit deö Himmels stach gegen den Zustand der mit Ruinen und Leichen bedeckten Erde gewaltig ab. Man sah Mütter mit Kindern auf ihren Armen, die sie ins Leben zurückzurufen hofften; trostlose Frauen irrten durch die Stadt, um einen Bruder oder Gatten aufzusuchen, über dessen Schicksal sic in Ungewißheit, schwebten, und von dem sie glaubten, daß er im Gedränge von ihnen getrennt worden wäre; das Volk drängte sich auf den Straßen, die man jetzt nur an den in geraden Linien anfgehäuftcn Ruinen unterscheiden konnte, hin und her. Alle Unfälle und Schrecknisse, welche man bei den Erdbeben von Lissabon, Messina und anderen Orten erfahren hatte, wiederholten sich an diesem unheilvollen Tage. Die Verwundeten, unter den Trümmern und Schutthaufen begraben, flehten die Vorübergehenden mit lautem Jammer und Wehklagen um Hülfe an, und mehr als 2000 wurden aus- ge,graben. Niemals zeigte sich das Mitleiden auf eine so rührende Weise, niemals sah man es, so zu sagen, in seiner Thätigkeit erfinderischer, als bei diesen Bestrebungen, den Ver- unglückten, deren Jammergeschrei das Ohr erreichte, Hülfe zu leisten. Unglücklicher Weise fehlte es gänzlich an Werkzeugen, die sich zur Ausgrabung des Bodens und zur Wegräu- mung der Trümmer eigneten, und man sah sich genöthigt, zum Ausscharren der noch Lebenden die Hände zu gebrauchen. Diejenigen, welche verwundet waren, sowie die Kran- ken, die sich aus den Spitälern geflüchtet, wurden an das Ufer eines kleinen Flusses ge- schafft, wo sie kein anderes Schutzdach als das Laub der Bäume hatten. Betten, Leinwand zum Verbände der Wunden, chirurgische Instrumente, kurz alles, was ihre Verpflegung und Behandlung erforderte, lag unter den Trümmern begraben. In den ersten Tagen fehlte es an allem, selbst an Nahrung, ebenso wurde in der Stadt das Wasser selten. Durch die Erschütterung hatten die Brunncnröhren gelitten, und das Einsinken des Erd- reichs hatte die Quellen, welche diese niit Wasser versahen, verstopft. Um Wasser zu erhal- ten, mußte man sich bis zu dem erwähnten kleinen Flusse begeben, der bedeutend ange- schwollen war, und auch hier fehlte eö an Gefäßen zum Schöpfen, da diese unter den Häu- sern begraben worden waren. Noch hatte man sich einer Pflicht gegen die Todten zu entledigen, die sowohl die Sitte, als die Furcht vor den ansteckenden Krankheiten, welche aus der Fäulniß der Leichname entstehen konnten, gebot. Da es unmöglich war, so viele Tausende halb unter dem Schutt begrabener Leichname zu beerdigen, so wurden Commissaire ernannt, um sie zu verbrennen. Mitten unter dem Schutt wurden Scheiterhaufen errichtet, und die Verbrennung der Leichen dauerte zwei ganze Tage. Bei diesen allgemeinen Leiden und Unfällen suchte das Volk den zürnenden Himmel durch eifrige religiöse Uebungen zu besänf-
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