1902 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Meyn, Ludwig
- Hrsg.: ,, Keck, Heinrich, Johansen, Christian
- Auflagennummer (WdK): 16
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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166. August Hermann Srancke (1698).
König lobte seine kindliche Liebe, ernannte ihn sogleich zum Offizier und schenkte
ihm noch eine Summe Geldes, um sich alles anzuschaffen, was er zu seiner
neuen Stellung brauchte. Der treffliche Sohn stieg hernach immer höher
und diente den preußischen Königen als ein tapferer General bis in sein hohes
Alter.
o hieß der Gottesmann, der vieler Waisen Vater geworden ist und durch
Gebet und Arbeit ein Waisenhaus erbaut und fromme Stiftungen ge-
gründet hat, die als Zeugen seines Glaubens noch dastehen und zu uns reden.
Francke war Prediger und Lehrer in Halle. Sein Augenmerk war neben der
Auslegung der heiligen Schrift auf die hilfsbedürftige Jugend gerichtet, von
welcher täglich eine große Menge in seinem Hause zusammenkam, um Almosen
zu empfangen. Ihn jammerte des leiblichen und geistigen Elends, worin er
diese armen Kinder traf. Wie gern hätte er auch an ihnen die Segnungen
des Evangeliums zur Erfüllung gebracht! Der Spruch des Herrn, der den
Kindern das Himmelreich zuweiset, erfüllte seine ganze Seele. Was sollte er
tun? Almosen geben, wie wenig konnte das genügen! Zunächst behielt er
die armen Kinder, die von ihm Almosen holten, in seinem Hause zum Kate-
chismusunterricht bei sich, und dann erst teilte er ihnen die Gaben aus. Allein
er erkannte bald, daß das nicht gründlich helfen würde. Man mußte die
Kinder ganz aus ihrer drückenden Lage, aus ihrer ganzen verderbten Umgebung
hmwegnehmen und ihr junges Leben in eine strenge und tätige Ordnung
bringen. Aber wie sollte man dazu die Mittel finden? „Bei Gott ist kein
Ding unmöglich." — Schon stand der Gedanke fest in Franckes Seele, zur
Errettung dieser verlassenen Kinder ein großes Waisenhaus zu erbauen.
Silber und Gold hatte er nicht, aber er hatte, was mehr ist, einen un-
erschütterlichen Glauben an den, der auch der Witwen und Waisen Vater
sein will. —
Im südlichen Teile von Halle steht jetzt ein hohes Gebäude, das über
seinem Eingänge Jes. 40, 31 als Inschrift trägt: „Die auf den Herren harren,
kriegen neue Kraft rc." Dieser Eingang führt durch das Vordergebäude in
einen sehr langen Hof, in eine wahre Straße, auf deren beiden Seiten hohe
Häuser stehen. Hier erblickt man ein Waisenhaus für arme Kinder, eine Er-
ziehungsanstalt für Kinder aus höheren Ständen, eine lateinische und Realschule,
Bürgerschulen, eine Buchdruckerei (v. Cansteinsche Bibelanstalt), eine große Buch-
handlung, eine Apotheke, viele Wirtschaftsgebäude und Gärten. Und am Ende
der Straße steht Franckes Standbild; in Priesterkleidung segnet er zwei Waisen-
kinder. Ja, das alles ist entstanden aus Franckes gesegneter Glaubensarbeit.
In seiner Wohnung hing eine Armenbüchse mit 1. Joh. 3, 17 und 2. Korinth. 9, 7.
Einst legte eine fromme Frau 7 Gulden auf einmal hinein. „Das ist ein
ehrlich Kapital", sprach Francke, „davon muß man was Rechts stiften; ich will
eine Armenschule damit anfangen." Und diese Armenschule war der Grund-
stein zu den großen Franckeschen Stiftungen in Halle. Wie aber war solch
groß Werk dem armen Pfarrer möglich? Run, der Herr half ja mitbauen,
indem er die Herzen seiner Gläubigen rührte, daß sie reiche Gaben zum
166. August Hermann Francke (1698).