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1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 322

1902 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
322 54. Das Gottesgericht in Frankreich wandten des preußischen Herrscherhauses zu sehen. Der König erwiderte würdig, daß, wie er nicht um die Erlaubnis zur Annahme der spanischen Krone ange- gangen sei, er auch nicht ein Verbot in dieser Beziehung erlassen könne. Da wuchs in wenigen Tagen die Aufregung in Paris bis zu dem Grade, daß alles nach Krieg verlangte; in Deutschland erwartete man erstaunt, aber ruhig und fest die weitere Entwicklung der Dinge. Als aber der Prinz Leopold aus eige- nem Antrieb erklärte, er wolle nicht die Schuld tragen, daß zwei mächtige Nach- barstaaten in einen blutigen Krieg miteinander verwickelt würden, er verzichte vielmehr auf den spanischen Thron, da glaubte jedermann, nun sei das drohende Ungewitter verteilt, nun sei jeder Anlaß zu einem Kriege beseitigt. Bald aber trat nur zu deutlich hervor, daß für die Franzosen die spa- nische Angelegenheit nichts weiter als ein nichtiger Vorwand für ihre Eroberungs- gelüste gewesen sei. Denn Kaiser Napoleon stellte jetzt durch seinen Botschafter an den greisen König Wilhelm die Forderung, er solle versprechen, daß auch in Zukunft der Prinz von Hohenzollern sich nicht wieder um den spanischen Thron bewerben werde; ja, ein französischer Minister sprach das schmachvolle Verlangen aus, der König möge sich in einem eigenhändigen Briefe an Napoleon wegen des Vorgefallenen entschuldigen. Natürlich wies der ritterliche Wilhelm diese schamlosen Forderungen würdevoll und fest zurück; sah nun doch mit ihm das ganze Deutschland klar, daß die Franzosen es nur darauf abgesehen hätten, unser Vaterland zu entehren und zu demütigen oder es zu berauben. Aber Napoleon hatte sich in seinen Anschlägen sehr verrechnet. Er hatte gehofft, die seit 1866 in Preußen einverleibten Provinzen würden zum Abfall bereit sein, die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden würden auf seiner Seite stehen oder jedenfalls sich teilnahmlos verhalten: aber die dem Helden- könig in Ems widerfahrene Beleidigung weckte in ganz Deutschland, von den Alpen bis zur Nordsee, die schlummernden patriotischen Gefühle, durch Millionen zuckte wie mit elektrischem Schlage die Empfindung, daß, wenn Frankreich denn durch- aus den Krieg wolle, das gesamte Vaterland zur heldenmütigen Abwehr sich erheben und für alte und neue Unbilden zugleich die Abrechnung machen werde. Am 15. Juli verließ König Wilhelm die Stadt Ems, um sich nach Berlin zu begeben. Aus dieser Reise mochten wohl bange Sorgen ihn beschleichen, denn es war vorauszusehen, daß dieser Krieg ein entsetzlich blutiger sein würde, aber erhebend war die Begeisterung, womit ihm in allen Städten, die er berührte, vornehmlich aber in seiner Hauptstadt Berlin, die Bevölkerung entgegenjubelte: man fühlte, daß durch die Beleidigung, die ihm die welsche Frechheit zugefügt hatte, ganz Deutschland herausgefordert sei, daß das Vaterland aber auf seinen Hort, den großen und guten König Wilhelm, bauen könne. Und sofort kamen auch aus Süddeutschland die erfreulichsten Nachrichten: der ritterliche König Ludwig von Bayern erließ schon am 16. Juli den Befehl an seine Truppen, sich kriegsbereit zu halten, Württemberg und Baden folgten bald, das Schutz - und Trutzbündnis von 1866 bestand also seine Probe. Noch nie war Deutschland so einig gewesen, noch nie waren alle seine Stämme so sehr von derselben Begeisterung durchglüht. Niemand verhehlte sich freilich, daß dieser Krieg ungeheure Opfer fordere, ja, weil Napoleon offenbar schon lange diesen Angriff vorbereitet hatte, mußte man darauf gefaßt sein, daß er
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