1902 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Meyn, Ludwig
- Hrsg.: ,, Keck, Heinrich, Johansen, Christian
- Auflagennummer (WdK): 16
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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83. Beschreibung eines Gewitters in Brasilien.
und sich darauf freuend. Man beschlug in der Eile noch, wo es fehlte, und
heilte die durch den Druck der Sättel entstandenen Wunden. In dieser regsamen
Tätigkeit verblieb die Gesellschaft, bis endlich die Tiere auf die Weide getrieben
und die Abendmahlzeit genossen war. Eine Wachskerze leuchtete uns noch zu
irgend einer den Schlaf herbeiführenden Lektüre, der dann auch, nach einer
ruhelos hingebrachten Nacht, sich wie ein lieber Gast nicht lange bitten ließ.
Zwar leuchteten Blitze schon lange aus der Ferne durch das Dunkel der Bäume,
und das ferne Rollen des Donners verkündete die Ankunft eines Gewitters; aber
der Schlaf war mächtiger, als alle Drohungen des Himmels. Wir genossen
wohl eine Stunde lang der Ruhe, als das Unwetter mit aller Macht einbrach
und uns erweckte. Ein Orkan, der mit furchtbarer Gewalt die Urbäume schüt-
telte und bis zu den Wurzeln bewegte, raste voran und riß in wirbelnden
Bewegungen meine Bettdecke fort, indes er zugleich die Ziegel des Daches neben
unserm Lager niederwarf. Zusammengekauert unter Ochsenhäuten faßen die Neger
am erlöschenden Feuer und kreuzten sich bei jedem Blitze. Auch wir rückten der
stehenden Wand näher, Schutz gegen die herabfallenden Ziegel und den nun in
Strömen niederstürzenden, vom Winde auf uns getriebenen Regen zu suchen.
Selbst unsere Maultiere und Pferde, geschreckt vom wilden Getöse und dem
Niederstürzen der Bäume, flohen aus dem Walde unter unser unsicheres Dach.
Es ist schwer, sich eine deutliche Idee von dem schauerlich Großen eines nächtlichen,
mit Sturm begleiteten Gewitters in einem Urwalds Brasiliens zu machen, und
Schauer erregend, ihm ohne Obdach ausgesetzt zu sein. Noch schwerer bleibt die
Beschreibung eines solchen Gegenstandes, der alles in seiner Furchtbarkeit über-
bietet. Ein Sturm zur See, wenn Segel reißen und Maste brechen, ist wohl
wegen des schwankenden Elements gefahrvoller, doch grausender dieses. Bei jenem
sind die Momente die schrecklichsten, wo der Schiffer die dem Sturm sich entgegen-
stemmenden Gegenstände, Masten und Segel, noch nicht eingezogen und verkleinert
und der einwirkenden Gewalt angepaßt hat. Ist dieses Geschäft aber vorüber,
und glücklich überstanden, so kann nian sich auf offener See und in wasserdichtem
Fahrzeuge sorglos schaukeln lassen; das Heulen des Windes in den Tauen, das
Rasseln und Knarren der Masten und Segelstangen, das Dehnen, Renken, Winden
und Knistern des Schiffsbauchs, die an- und überschlagenden Wellen hört man
nach einigen Stunden ohne Angst; der Eindruck wird schwächer und schwächer,
und selbst der Donner verliert von seiner Furchtbarkeit; er eilt schnell vorüber
und man liegt ruhig in der Kajüte. Nicht so Stürme und Gewitter, wie ich sie
in den brasilianischen Wäldern oft erlebte. Immer waren sie mir furchtbar, und
selbst den Tieren schien es unheimlich zu Mute zu sein, denn auch die kleinsten
wurden unruhig, besonders die Frösche. Das Toben des Windes in den Riesen-
bäumen Brasiliens, das Gekrache der umstürzenden, nahe und fern das Abfallen
dürrer Äste, der Strom sich ergießenden Regens, das Geheul wilder Tiere, beson-
ders der Affen, die vielleicht durch einen niederstürzenden Baum aus ihrer Schlaf-
stätte geschleudert, vielleicht auch beschädigt wurden, das unaufhörliche Krachen
und Rollen des Donners mit seinen unendlichen Echos, das wunderliche Licht,
welches die hellen Blitze unter dem Dunkel des schwarzen Waldes verbreiteten,
dabei die beständige Gefahr, von dürren Ästen oder niederstürzenden Bäumen erschla-
gen zu werden, alles dieses versetzte mich immer in den unbehaglichsten Zustand.