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1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 386

1902 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
386 83. Beschreibung eines Gewitters in Brasilien. und sich darauf freuend. Man beschlug in der Eile noch, wo es fehlte, und heilte die durch den Druck der Sättel entstandenen Wunden. In dieser regsamen Tätigkeit verblieb die Gesellschaft, bis endlich die Tiere auf die Weide getrieben und die Abendmahlzeit genossen war. Eine Wachskerze leuchtete uns noch zu irgend einer den Schlaf herbeiführenden Lektüre, der dann auch, nach einer ruhelos hingebrachten Nacht, sich wie ein lieber Gast nicht lange bitten ließ. Zwar leuchteten Blitze schon lange aus der Ferne durch das Dunkel der Bäume, und das ferne Rollen des Donners verkündete die Ankunft eines Gewitters; aber der Schlaf war mächtiger, als alle Drohungen des Himmels. Wir genossen wohl eine Stunde lang der Ruhe, als das Unwetter mit aller Macht einbrach und uns erweckte. Ein Orkan, der mit furchtbarer Gewalt die Urbäume schüt- telte und bis zu den Wurzeln bewegte, raste voran und riß in wirbelnden Bewegungen meine Bettdecke fort, indes er zugleich die Ziegel des Daches neben unserm Lager niederwarf. Zusammengekauert unter Ochsenhäuten faßen die Neger am erlöschenden Feuer und kreuzten sich bei jedem Blitze. Auch wir rückten der stehenden Wand näher, Schutz gegen die herabfallenden Ziegel und den nun in Strömen niederstürzenden, vom Winde auf uns getriebenen Regen zu suchen. Selbst unsere Maultiere und Pferde, geschreckt vom wilden Getöse und dem Niederstürzen der Bäume, flohen aus dem Walde unter unser unsicheres Dach. Es ist schwer, sich eine deutliche Idee von dem schauerlich Großen eines nächtlichen, mit Sturm begleiteten Gewitters in einem Urwalds Brasiliens zu machen, und Schauer erregend, ihm ohne Obdach ausgesetzt zu sein. Noch schwerer bleibt die Beschreibung eines solchen Gegenstandes, der alles in seiner Furchtbarkeit über- bietet. Ein Sturm zur See, wenn Segel reißen und Maste brechen, ist wohl wegen des schwankenden Elements gefahrvoller, doch grausender dieses. Bei jenem sind die Momente die schrecklichsten, wo der Schiffer die dem Sturm sich entgegen- stemmenden Gegenstände, Masten und Segel, noch nicht eingezogen und verkleinert und der einwirkenden Gewalt angepaßt hat. Ist dieses Geschäft aber vorüber, und glücklich überstanden, so kann nian sich auf offener See und in wasserdichtem Fahrzeuge sorglos schaukeln lassen; das Heulen des Windes in den Tauen, das Rasseln und Knarren der Masten und Segelstangen, das Dehnen, Renken, Winden und Knistern des Schiffsbauchs, die an- und überschlagenden Wellen hört man nach einigen Stunden ohne Angst; der Eindruck wird schwächer und schwächer, und selbst der Donner verliert von seiner Furchtbarkeit; er eilt schnell vorüber und man liegt ruhig in der Kajüte. Nicht so Stürme und Gewitter, wie ich sie in den brasilianischen Wäldern oft erlebte. Immer waren sie mir furchtbar, und selbst den Tieren schien es unheimlich zu Mute zu sein, denn auch die kleinsten wurden unruhig, besonders die Frösche. Das Toben des Windes in den Riesen- bäumen Brasiliens, das Gekrache der umstürzenden, nahe und fern das Abfallen dürrer Äste, der Strom sich ergießenden Regens, das Geheul wilder Tiere, beson- ders der Affen, die vielleicht durch einen niederstürzenden Baum aus ihrer Schlaf- stätte geschleudert, vielleicht auch beschädigt wurden, das unaufhörliche Krachen und Rollen des Donners mit seinen unendlichen Echos, das wunderliche Licht, welches die hellen Blitze unter dem Dunkel des schwarzen Waldes verbreiteten, dabei die beständige Gefahr, von dürren Ästen oder niederstürzenden Bäumen erschla- gen zu werden, alles dieses versetzte mich immer in den unbehaglichsten Zustand.
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