1902 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Meyn, Ludwig
- Hrsg.: ,, Keck, Heinrich, Johansen, Christian
- Auflagennummer (WdK): 16
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
400
87. Das heilige Land.
tritt man in das eine, die sogenannte Engelskapelle; aus dieser gelangt man in
die enge Totenkammer, in der der Leib des Herrn gelegen haben soll.
Östlich von der Grabeskirche beginnt des Schmerzensweg, eine steil ab-
schüssige, enge Straße, auf welcher der Heiland sein Kreuz gen Golgatha trug.
Sie führt zur Burg Antonia, in welcher Christus vor Pilatus stand. Dicht
daneben erhebt sich der Tempelberg. Kein anderer Ort Jerusalems hat so un-
verkennbar sein ursprüngliches Gepräge bewahrt, als der durch Menschenhand
geebnete Felsenrücken Morijahs. Noch findet man Überreste jener gewaltigen
Tempelmauern, welche im jüdischen Kriege zerstört wurden, und von denen nach
des Herrn Wort kein Stein auf dem andern geblieben ist. Im Osten der Stadt
zieht sich das Tal Josaphat hin. Zwischen der heiligen Stadt und den Höhen
des Ölberges gestaltet es sich zu einer engen, dunklen Schlucht. Von der Abend-
seite her werfen die finstern Stadtmauern ihre riesenhaften Schatten vom Tempel-
berg abwärts ins Tal. Jenseits neigt sich der Ölberg mit seinen Olivenbäumen
trauernd in die Tiefe. An seinem Fuß springt eine schwarze Steinwand hervor
mit den Grabesgrotten des Josaphat, Jakobus und Zacharias; nahe dabei ist
das turmartige Denkmal Absaloms. Durch das ganze Tal windet sich über
Felsgeröll hinweg der schwarze Kidron. Zwei steinerne Brücken führen über
denselben nach dem Ölberg. Die oberwärts gelegene führt in die Stille des
Olivengartens von Gethsemane, wo der Herr verraten ward.
Der Ölberg überragt alle Berge, welche die heilige Stadt umschließen.
Er hat drei Gipfel, von denen der mittlere der höchste ist. Heute stehen etwa
noch fünfzig Ölbäume auf seinem Abhange. Auf diesem Abhange weilte der
Heiland oft und gern. Vom Gipfel dieses Berges sah er die Stadt an und
weinte über sie (Luk. 19, 41); hier, dem Tempel gegenüber, weissagte er den
Untergang der Stadt. Am jenseitigen Abhange des Berges lag das freundliche
Bethanien, wo Martha und Maria wohnten und der Herr den Lazarus er-
weckte. — Geht man von hier aus in das Josaphattal zurück, so liegt dem
Wanderer zur Linken der Berg des Ärgernisses, wo der greise Salomo dem
Moloch opferte sl.kön. 11,7—8). An seinem Abhange liegt, dem Berge Zion
gegenüber, die berühmte Quelle Silo ah, in der sich der Blinde wusch, den der
Herr heilete. Jerusalem löscht seinen Durst aus dem Regenwasser der hier
zahlreich angebrachten Cisternen.
Tue Südseite Jerusalems bildet das Tal Ben Hinnom oder Gehenna.
Dies Tal war im Altertum verabscheut; denn hier haben die Bürger Jerusalems
unter Trommelschall ihre Kindlein in den glühenden Armen der Molochsbilder
geopfert. Zu Christi Zeiten wurde dieses Tal für unrein gehalten; die Leichname
von gefallenen Tieren und von Verbrechern wurden hier verbrannt, und dazu ward
ein fortwährendes Feuer unterhalten. Die Höhen, welche dieses Tal begleiten,
nennt man den Berg des bösen Rates und zeigt daselbst ein Landhaus des
Kaiphas, wo sie „Rat hielten, wie sie Jesum mit List griffen und töteten".
Wunderbar ist es, wie Jerusalem, das so viele Zerstörungen erlebte, sich
immer wieder aus dem Schutt erhoben hat. Wer Judäa durchwandert, weiß
kaum, ob er es das Land der Verheißung oder des Fluches nennen soll. In
keinem Lande treten so wie hier die Güte und der Ernst Gottes ergreifend vor
die menschliche Seele.