1902 -
Braunschweig Leipzig
: Wollermann
- Autor: Carstensen, Carl
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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Badegäste freuen sich jedesmal über seine Ankunft; jedermann hat ihn
lieb wie einen alten Freund.
2. Nur wenige Wochen sollte dieses friedliche Stillleben dauern.
Die Zeitungen brachten Berichte von leidenschaftlich aufgeregten Reden
in Frankreichs Hauptstadt, die sich gegen Preußen und seinen König
richteten. Das Gesicht des französischen Gesandten, der plötzlich im
Bade anstauchte, schien freilich keinen Sturm zu künden; aber so oft
er sich dem König nahte, bemerkte man aus dessen Antlitz Spuren
des Unmuts.
Immer rücksichtsloser wird die Sprache der französischen Re-
gierung, in so gleißnerische Redensarten sie auch der gewandte Bot-
schafter zu kleiden weiß; immer weiter gehen die Forderungen, mit
denen man den friedlich seiner Kur lebenden Fürsten stört.
Vom Spaziergange zurückgekehrt, ging der König in seinem
Gemache erregt mit großen Schritten auf und ab. Vor seiner Seele
lebten Erinnerungen aus alter Zeit wieder aus. Dreiundsechzig Jahre
zurück — 1807 am 1. Januar war der zehnjährige Prinz Wilhelm
ins Heer eingetreten, als seine Familie mit ihm flüchtig in Königs-
berg geweilt. Wenig fehlte damals, und der übermütige Korse hätte
das Wort gesprochen: „Das Hans Hohenzollern hat aufgehört zu
regieren!" Aber aus die Zeiten der Schmach war die Erhebung
gefolgt, und als kaum siebzehnjähriger Jüngling war damals der
jetzt ergraute Mann an der Seite seines Vaters mit nach Paris
gezogen.
Lange sinnend hatte der König so verweilt — jetzt richtete er
das Haupt empor. „Gott, du bist mein Zeuge," ruft er, „daß ich
den Krieg nicht will; wenn sie mich aber dazu zwingen, dann werde
ich ihnen zeigen, daß auch der dreiundsiebzigjährige Mann noch ver-
mag, was einst der siebzehnjährige Jüngling vollbracht!"
Es klopft an die Thür. Der eintretende Adjutant erbittet für
Graf Benedetti eine Unterredung.
„Sagen Sie dem Grasen, ich Hütte ihm nichts weiter mitzuteilen,"
erwiderte der König mit ruhiger Stimme.
3. Der 15. Juli war angebrochen. Kurgäste und Emser Ein-
wohner standen zahlreich um das Kurhaus versammelt. Da erschien
der König, zur Abreise nach Berlin gerüstet. Ein begeistertes, nicht
endenwollendes Hochrufen begrüßt ihn; Blumen bedecken seinen Weg.
Er erwidert, Thränen der Rührung in den Augen, einige Worte und
ruft den Versammelten zu: „Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!"