Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 5

1897 - Wittenberg : Herrosé
5. Die Macht des Gebets. Ich hatte spät das Darf erreicht, der stille Mond ans Fenster schleicht, er leuchtet mit gar fahlem Schein der Schenke in die Stub' hinein; er sitzt am rauhen Boden fest, betrachtet Zimmer sich und Gäst'. Unheimlich sah es drinnen aus, ich wünschte fast, war' wieder drauß'! Ein toller Lärm, ein Toben, Fluchen, ein sündhaft freches Gottversuchen! Bei Würfeln, Wein und Kartenspiel gedenket man des Herrn nicht viel. Ich war schon hoch herabgekommen vom Felsgebirg, von Wald und Schlucht, halt' müd' die Herberg' hier ge- nommen — das Schifftein drängt zur sichern Bucht. Wie blühet draußen Lenzesschimmer, wie tönt ein Lied in Feld und Flur der neuerstandenen Natur; wie singt die Lerche, rauscht der Quell, wie friedlich dort, wie klar und hell — und wie so anders hier im Zimmer! Drei wilde Gesellen, von Antlitz rauh, die Stirne gefurcht, das Auge schlau, und jeder Zug von Schuld entstellt, die hatten sich zum Spiel gesellt. Die Karten gehn von Hand zu Hand, bald ist des Zornes Glut entbrannt, und was das Spiel nicht thut der Wein trägt Gift genug ins Herz hinein. „Und was ist Trumps?" — „Ha! diese sticht!" Bald wieder in tollen Lärmen bricht der pflichtvergessene helle Haus', setzt manchen derben Fluch noch drauf „Ein böses Wetter schlag' hinein, wenn dieser Stich nicht mir soll sein!" Und schon um eines Groschens willen sah ich vom Winkel dort, dem stillen, den einen von den drei Gesellen rollenden Auges, fluchbereit, als gäb' es keine Ewigkeit, sich drohend mit dem Messer stellen. Da plötzlich ändert sich die Szene! Wie festgebannet stehen jene, als eine Magd, geschäftig, rege, in treuem Dienste niemals träge, des Wirtes Abendsuppe bringt, und um den Tisch ein Kreis sich schlingt, Großmütterchen allein sitzt nieder, die andern stehn umher im Kreis, ein Mägdlein spricht dann eins der Lieder, ein Abendtischgebet, halbleis, und dabei röten sich die Wangen, die Blicke fromm am Boden hangen: „An dem Himmel glänzt der Stern, und der Abend sinkt hernieder, uns're schönsten Dankeslieder bringen wir dem Herrn der Herrn; an dem Himmel glänzt der Stern!" „Täglich schenkst du uns das Brot, deine Kinder darben nimmer, Herr! es strahlt dein Gnadenschimmer auch aus aller Armen Not; täglich schenkst du uns das Brot!" „Laß uns danken warm und frounn, Gott, für deine Gottesgaben! Daß wir deinen Segen haben, komm als Gast, o Heiland, komm'! Laß uns danken warm und fromm!" Ein Amen schloß das Dankgebet. Wie um den Tisch der Kreis nun steht, mit Inbrunst alle die Hände falten, nachsprechend das Gebetlein leise, und Andacht herrscht im ganzen Kreise — da sieht man wohl ein höher Walten. Als sich die Maid erhob zu beten, da wurden die Gesellen still. Wie aus des Herrn Geheiß und Will' verstummten ängstlich sie, betreten, und legten scheu die Karten nieder. Zum Tisch gesenkt die Augenlider schlang Hand in Hand sich zum Gebet, wenn's auch noch nicht von Herzen geht; und fast verlegen nahm ein jeder
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer