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1. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 21

1897 - Wittenberg : Herrosé
21 mir für zwei Groschen Gelbwurst und für sechs Pfennig Brot, stecke es zu mir und gehe hinaus vor das Thor, in das sogenannte Rosen- ihal. Mein Tisch war schnell gedeckt. Ich setze mich aus eine Bank 4md wickele meine Sachen heraus, ich zerschneide die Gelbwurst in sechs Teile und lege sie neben mich hin; „das," sageich, „ist meine Suppe, das mein Fleisch, das mein Gemüse mit Beilage, das mein Fisch und das mein Braten und Salat." Ich glaube nicht, dass sie drinnen in der Stadt bei Frege mehr hatten, und daß es ihnen besser schmeckt. Ich war eben an der süßen Schüssel, sie war sehr gut zu- bereitet. da seh' ich einen Mann aus einem schönen Braunen daherreiten, der denk ich, macht sich noch ein bißchen Bewegung vor dem Essen, daß es ihm besser schmeckt. Ich wünschte ihm meinen gesunden Magen, ich brauche kein Pferd müde zu reiten, um tüchtig einhanen zu können. Schneller, als ich dies sage und denke, ist der Reiter bei mir, und zu meinem Schrecken sehe ich, es ist der Herr Frege selber! In meiner Angst fällt mir der letzte Bissen von meiner süßen Speise aus der Hand, und der vorausspringende Hund schnuppert's gleich ans: ich wickle schnell mein Papier zusammen und weiß mir gar nicht zu helfen. „Ei! Herr Keller!" sagt der Herr Frege, „was machen Sie da? Glauben Sie, Sie bekommen bei mir nicht genug zu essen?" Was soll ich darauf sagen? Ich denke, du bleibst bei der Wahr- beit. Ich sag' ihm nun, daß es sich bei mir nicht anstragen will, gegen zwei Thaler Trinkgeld für ein einzig Mittagessen zu geben und so und so, und daß ich mir vorgenommen habe, mich heute abend oder morgen früh zu entschuldigen, weil ich nicht kommen kann. — Da lacht er ganz laut auf und sagt: „Ja. das müssen Sie ja thun, sonst werd' ich bös; ich erwarte Sie um fünf Uhr, fehlen Sie ja nicht. Wünsche gesegnete Mahlzeit." Und fort war er mit seinem Braunen. Ich weiß nun gar nicht, was ich machen soll; ich denke aber: „Nun, fressen wird er dich nicht, er muß um fünf Uhr noch genug haben von Mittag her." Wie's also fünf Uhr gebembert hat, geh' ich hin, man weist mich in sein Kontor,*) und da kommt er mir entgegen, nimmt mich bei der Hand und führt mich in das Kabinettchen und sagt zu mir: „Lieber Herr Keller, Sie haben für 10 000 Thaler Kredit bei mir: wenn Sie aber das Doppelte brauchen und auch noch mehr, sagen Sie mir's nur offen." — Ich sage: „Sie irren sich, ich habe nur für 1000 Thaler." Da sagt er mir: „Es bleibt dabei, wie ich schon gesagt habe: Sie sind ein Mann, der zu sparen weiß, und heute abend essen Sie ganz allein bei mir in meiner Familie." Und so ist's auch geschehen, und das hat mir noch besonders gefallen, daß er die Geschichte seiner Frau und seinen Kindern nicht erzählt hat, bis ich von Leipzig fort gewesen bin. Er hat wohl gemerkt, daß es mir leid thäte, wenn man auch in aller Güte darüber lachen würde. — So ist's mir durch die Gelbwurst möglich geworden, eine der größten Tuchfabriken anzulegen, und so lange der alte Frege gelebt hat, habe ich jede Messe bei ihm allein zu Nacht gegessen, und da ist immer zuletzt noch Gelbwurst aufgetragen worden. B. Auerbach. I Geschäftszimmer.
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