1897 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, J., Schanze, W.
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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mir für zwei Groschen Gelbwurst und für sechs Pfennig Brot, stecke
es zu mir und gehe hinaus vor das Thor, in das sogenannte Rosen-
ihal. Mein Tisch war schnell gedeckt. Ich setze mich aus eine Bank
4md wickele meine Sachen heraus, ich zerschneide die Gelbwurst in sechs
Teile und lege sie neben mich hin; „das," sageich, „ist meine Suppe,
das mein Fleisch, das mein Gemüse mit Beilage, das mein Fisch
und das mein Braten und Salat." Ich glaube nicht, dass sie drinnen
in der Stadt bei Frege mehr hatten, und daß es ihnen besser
schmeckt. Ich war eben an der süßen Schüssel, sie war sehr gut zu-
bereitet. da seh' ich einen Mann aus einem schönen Braunen daherreiten,
der denk ich, macht sich noch ein bißchen Bewegung vor dem Essen,
daß es ihm besser schmeckt. Ich wünschte ihm meinen gesunden Magen,
ich brauche kein Pferd müde zu reiten, um tüchtig einhanen zu können.
Schneller, als ich dies sage und denke, ist der Reiter bei mir, und zu
meinem Schrecken sehe ich, es ist der Herr Frege selber! In meiner
Angst fällt mir der letzte Bissen von meiner süßen Speise aus der Hand,
und der vorausspringende Hund schnuppert's gleich ans: ich wickle
schnell mein Papier zusammen und weiß mir gar nicht zu helfen. „Ei!
Herr Keller!" sagt der Herr Frege, „was machen Sie da? Glauben
Sie, Sie bekommen bei mir nicht genug zu essen?"
Was soll ich darauf sagen? Ich denke, du bleibst bei der Wahr-
beit. Ich sag' ihm nun, daß es sich bei mir nicht anstragen will,
gegen zwei Thaler Trinkgeld für ein einzig Mittagessen zu geben und
so und so, und daß ich mir vorgenommen habe, mich heute abend oder
morgen früh zu entschuldigen, weil ich nicht kommen kann. — Da
lacht er ganz laut auf und sagt: „Ja. das müssen Sie ja thun, sonst
werd' ich bös; ich erwarte Sie um fünf Uhr, fehlen Sie ja nicht.
Wünsche gesegnete Mahlzeit." Und fort war er mit seinem Braunen.
Ich weiß nun gar nicht, was ich machen soll; ich denke aber: „Nun,
fressen wird er dich nicht, er muß um fünf Uhr noch genug haben von
Mittag her."
Wie's also fünf Uhr gebembert hat, geh' ich hin, man weist mich
in sein Kontor,*) und da kommt er mir entgegen, nimmt mich bei der
Hand und führt mich in das Kabinettchen und sagt zu mir: „Lieber
Herr Keller, Sie haben für 10 000 Thaler Kredit bei mir: wenn Sie
aber das Doppelte brauchen und auch noch mehr, sagen Sie mir's nur
offen." — Ich sage: „Sie irren sich, ich habe nur für 1000 Thaler."
Da sagt er mir: „Es bleibt dabei, wie ich schon gesagt habe: Sie sind
ein Mann, der zu sparen weiß, und heute abend essen Sie ganz allein
bei mir in meiner Familie." Und so ist's auch geschehen, und das
hat mir noch besonders gefallen, daß er die Geschichte seiner Frau und
seinen Kindern nicht erzählt hat, bis ich von Leipzig fort gewesen bin.
Er hat wohl gemerkt, daß es mir leid thäte, wenn man auch in aller
Güte darüber lachen würde. — So ist's mir durch die Gelbwurst möglich
geworden, eine der größten Tuchfabriken anzulegen, und so lange der
alte Frege gelebt hat, habe ich jede Messe bei ihm allein zu Nacht
gegessen, und da ist immer zuletzt noch Gelbwurst aufgetragen worden.
B. Auerbach.
I Geschäftszimmer.