1897 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, J., Schanze, W.
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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lust erfüllt, eine eigene Maschinenbauanstalt zu gründen. Über
Plan und Anlage der zu gründenden Fabrik war Borsig sich
bald klar; aber es fehlte ihm das notwendigste — die Geld-
mittel. In einer Bierstube beim Abendbrot erzählte er einem
älteren Herrn von seinem Plan und dem der Ausführung des-
selben entgegenstehenden Hindernis. Per alte Herr schüttelte
den Kopf, liess sich jedoch nach einiger Zeit den Plan nochmals
ausführlich erklären, bedauerte, selbst nicht das Geld zu haben,
ivies jedoch Borsig an seinen Freund, den Geheimrat Sch.
Hier fand Borsig geneigtes Ohr und erhielt zur Einrichtung
30000 Mark zu Stj2% Zinsen. Dieses Geld, die eigenen
Ersparnisse und die rastlose Thätigkeit des alten Borsig waren
die Grundlage aller seiner Werke. Innige Freundschaft verband
bald die beiden Männer, die sich auch auf die Söhne übertrug.
Die Werke dehnten sich aus, alle aufgenommenen Schilden
waren bezahlt, auch die 30000 Mark sollten zurückerstattet
iverden. Aber der Geheimrat und sein Sohn wollten davon
nichts wissen. Sie sagten: „Ihr seid gross geworden durch
dieses Geld: deshalb soll es zur Erinnerung stehen bleiben,
zugleich, damit Ihr trotz Eueres Reichtums dennoch Schulden
habt.“ Bis zur Aufgabe des Werkes lastete das Kapital auf
dem Borsig sehen Besitztum. Die Maschinenfabrik erstand 1837
vor dem Oranienburger Thore in Berlin. Die ersten Maschinen
wurden in Bretterschuppen gebaut. Die Zahl der Arbeiter
betrug anfangs kaum 50. Bald war jedoch der Bau der Eisen-
giesserei beendet und die erste Dampfmaschine zu deren Betrieb
aufgestellt. Anfangs lieferte die Fabrik Eisengufswaren aller
Art, besonders stehende Dampfmaschinen.
Bis zum Jahre .1846 waren auf deutschen Eisenbahnen
fast nur ausländische, englische und amerikanische Lokomotiven
in Gebrauch. Das Ausland hatte reiche Erfahrungen, grosse
Geldmittel, die besten Rohstoffe zu billigeren Preisen und das
Vertrauen der deutschen Heimat zur Seite. Deshalb war das
Unternehmen, den Lokomotivenbau bei uns heimisch zu machen,
ein sehr gewagtes. Es gehörten ein ungewöhnlicher Mut und
Scharfblick und eine unbeugsame Ausdauer dazu, in Wettbewerb
zu treten. Borsig besass diese Eigenschaften in hohem Alafse.
Die erste Lokomotive, zu deren Vollendung ein Jahr gebraucht
wurde, verliess 1841 die Werkstätten, die hundertste 1846,
die fünfhundertste 1854.
Der grosse Bedarf an Schmiedeeisen, in der nötigen Güte
bisher aus England bezogen, hatte bereits den alten Borsig
bestimmt, eigene Eisen-, Walz- und Hammerwerke in dem nahen
Aloabit anzidegen und grosse Eisen- und Kohlengruben in
Schlesien zu erwerben.
Der schlichte Zimmergeselle wurde also der Schöpfer einer
neuen Industrie. Nach noch nicht zwei Jahrzehnten der Arbeit
beschäftigten alle Anstalten Borsigs 2500 Arbeiter, und es-