1897 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, J., Schanze, W.
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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141. Das Handwerk in der Gegenwart.
im zweiten Kreise unseres Lesebuchs haben wir bereits ge-
lernt dass der Grund zur neuen Zeit in jenen schweren Tagen' der
französischen Fremdherrschaft gelegt wurde.
Der König Friedrich Wilhelm Tu, Freiherr von Stein. Scharn-
horst, Gneisenau. Jahn. E. M. Arndt u. v. a. sind es, die in
schwerer Zeit neue Einrichtungen trafen, infolge deren Deutschland
wieder mächtig wurde, den Erbfeind besiegte und nach und nach
auch innerlich erstarkte. So wurde 1810 die Gewerbefreiheit
in Preussen eingeführt, doch konnten die Zünfte als freie Innungen
fortbestehen. Aber erst unserer Zeit blieb es vorbehalten, auch
neues, selbständiges Leben in dem deutschen Handwerkerstände rege
zu machen. Kaiser Wilhelms teilnehmende Sorgfalt an dem Wohl-
ergehen aller seiner Unterthanen, der mächtige Ausbau des Deutschen
Reichs, an dem der Kronprinz Friedrich Wilhelm, Fürst Bismarck
u. v. a. Helden und auch Männer der deutschen Wissenschaft so
grossen Anteil haben, und vor allem die Vermehrung der Eisenbahnen
und die Erweiterung des Post- und Telegraphen wesens veranlassten eine
ungeahnte Hebung des Handels und Verkehrs und machten, dass,
auch der deutsche Handwerker sich wieder auf seine Kraft besann.
Jetzt finden wir wieder fast überall in seinen Erzeugnissen den
deutschen Geist ausgeprägt, wenn auch der fremdländische, be-
sonders der französische Einfluss noch nicht ganz verschwunden ist.
Deutsche Erzeugnisse sind in der ganzen Welt wieder zu Ehren
gekommen und überflügeln teilweise die der Nachbarländer, wie das
auch auf der Weltausstellung in Chicago im Jahre 1893 sich zeigte.
Dem Schutze des Handwerks wird jetzt seitens der Staats-
regierung die grösstem)gliche Unterstützung zuteil. Die Gesetz-
gebung der letzten Jahre zeigt das aufs deutlichste. Die Anregung
zur Gründung von Innungen, die der neuen Zeit angepasst und
einer gesunden Gewerbefreiheit nicht schädlich sind, ging haupt-
sächlich von Regierungskreisen aus. Wenn auch viele Hand-
werker aus Kurzsichtigkeit, Bitterkeit und Unverstand der neuen
Gesetzgebung nicht wohlwollend gegenüberstehen, so ist es doch
erfreulich, dass die überwiegende Mehrzahl jetzt für die neue Ent-
wicklung gewonnen ist und zum Teil mit Thatkraft an derselben
sich beteiligt. Man hat wieder erkannt, dass Einigkeit stark macht;
darum Schliessen sich Innungen, Gewerbevereine u. a. zusammen,
um so als grosse Mächte Grosses auszurichten. Heute ist es nicht
mehr die fremde Arbeit, die dem Handwerk Gefahren bringt,
sondern das Maschinenwesen, das durch die Macht des Kapitals,
zu grossartiger Entfaltung gekommen ist. Aber auch dem Bedroh-
lichen, was das Maschinenwesen an sich hat, kann der Handwerker-
stand siegreich entgegentreten, sobald er sich dahin erhebt,
wohin jenes nicht zu folgen vermag, wozu nur die Hand ge-
braucht werden kann, und das ist eine tüchtige, kunstreiche Arbeit.
Höhere Geschicklichkeit, kunstvolle Produktion muss.