1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, W., Schanze, J.
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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Margarete schilderte ihm darauf fein Betragen, die Art, wie
er einnehme und ausgebe, den Mangel an Aufmerksamkeit; selbst
seine gutmütige Freigebigkeit kam mit in Anschlag, und freilich ließen
ihn die Folgen der Handlungsweise, die ihn so sehr drückten, keine
Entschuldigung ausbringen.
Margarete konnte ihren Gatten nicht lange in dieser Verlegen-
heit lassen, um so weniger, als cs ihr so sehr zur Ehre gereichte, ihn
wieder glücklich zu machen. Sie setzte ihn in Verwunderung, als
sie zu seinem Geburtstage, der eben eintrat, und an dem sie ihn sonst
mit etwas Brauchbarem anzubinden Pflegte, mit einem Körbchen
voll Geldrollen ankam. Die verschiedenen Münzsorten waren be-
sonders gepackt, und der Inhalt jedes Röllchens war mit schlechter
Schrift, jedoch sorgfältig, darauf gezeichnet. Wie erstaunte der
Mann, als er beinahe die Summe, die ihm fehlte, vor sich sah, und
die Frau ihm versicherte, das Geld gehöre ihm zu! Sie erzählte
darauf, was sie ihm entzogen, und was durch ihren Fleiß erspart
worden sei. Sein Verdruß ging in Entzücken über, und die Folge
war, daß er Ausgabe und Einnahme der Frau vollstäudig über-
trug, seine Geschäfte nach wie vor, nur mit noch größerem Eifer, be-
sorgte, von dem Tag an aber keinen Pfennig Geld mehr in die
Hände nahm. Margarete verwaltete das Amt eines Kassierers mit
großen Ehren, kein falscher Laubtaler, ja kein verrufener Seck)ser
ward angenommen, und durch ihre Tätigkeit und Sorgfalt fetzten
sie sich nach Verlauf von zehn Jahren in den Stand, den Gasthof mit
allem, was dazu gehörte, zu kaufen und zu behaupten.
- » I. W. t>. Goethe.
17. Das Haus Gruit vau Zteen.
Das Handelshaus Gruit van Steen war im Beginne des sieb-
zehnten Jahrhunderts eines der angesehensten, reichsten und fest-
begründetsten in Hamburg. Das Oberhaupt des Hauses war da-
uwls Hermann Gruit, der nach dem Tode des ehrwürdigen Vaters
mit der Handlung und dem Hause auch den alten Jansen als Erb-
stück mit überkommen hatte, einen goldtreuen Diener des Hauses, mit
Leib und Seele wie sonst dem alten, nun dein jungen Herrn zu-
getan, den er schon als Kind auf den Knien geschaukelt hatte. Wenige
verstanden das Handelswescn damaliger Zeit bis in seine äußersten
Verzweigungen so von gründ aus, wie der alte Jansen, daher galt
auch sein Wort in der Schreibstube wie das des Herrn selbst.
Der dreißigjährige Krieg verheerte schon seit zwanzig Jahren
unser armes Vaterland durch Raub, Mord und Brand von einem
Ende zum anderen; Städte und Dörfer waren zu hunderten verheert
und verlassen von den Bewohnern, die mit dem Vieh in die Wälder
geflohen waren, um sich vor den räuberischen, blutigen Händen der
gottlosen Kriegsleute zu retten. Unter diesen Umständen und
namentlich auch bei der Unsicherheit der Straßen in allen Ländern
war cs kein Wunder, daß der Handel stockte und vorzüglich der Be-