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1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, W., Schanze, J.
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
tus. Der brave Alte war nicht nur ein eifriger Waidmann und sorg-
samer Hausvater, sondern auch ein edler Menschenfreund. Mancher
Kranke hatte schon aus dem schlichten Forsthause ein wirksames Heil-
mittel oder einen weisen Rat bekommen, und bei vielen Unglücks-
sallen hatte die geschickte Hand des alten Försters Linderung und
Rettung gebracht. Der stets gefällige und freundliche Hubertus war
jedoch kein Wunderdoktor oder Quacksalber. Er dachte sehr gering
von seiner werktätigen Nächstenliebe und wies jede Belohnung für
seine Bemühungen zurück. Bei schweren Krankheiten und in zweifel-
haften Fällen verordnete er immer dasselbe: „Holt schnell einen
geschickten Arzt und erfüllt gewissenhaft alle seine Befehle und
Wünsche."
Eines Tages trat auch ein junger Mann aus der benachbarten
Stadt in die freundliche Wohnung des Försters. Als Hubertus den
hochaufgeschossenen, hageren und blassen Jüngling sah, strich er be-
denklich den langen, weißen Bart und dachte bei sich: „Der arme
Mensch, — er welkt dahin wie eine Blume des Waldes im engen
Zimmer." Dann fragte er nach der Beschäftigung und Lebensweise
seines Gastes. „Dir kann geholfen werden," sprach der Förster,
nachdem er die Klagen des Jünglings gehört und erwogen hatte.
Dann holte er aus dem Eßschranke von schwerem Eichenholze ein
kleines Pistol hervor. Es war an der Mündung festverschlossen und
nicht größer als ein Glied des Fingers. „Nimm diese unscheinbare
Waffe," sprach der ehrwürdige Greis mit ernsten Worten, „und
trage sie ein Jahrlang als Zierstück an deiner Uhrkette. Sie wird
die Feinde deiner Gesundheit vertreiben und dich mehr kräftigen als
kostbare Speisen und Getränke. Aber nur in der reinen, belebenden
Luft kann sie ihre Heilkraft ausüben; darum sollst du sie täglich zwei
Stunden lang in Wald und Feld umhertragen und vor jedem schäd-
lichen Luftzuge sorgfältig in acht nehmen."
Nach dieser Mahnung begab sich der Jüngling aus den Heim-
weg und oftmals schaute er verwundert und enttäuscht auf das selt-
same Geschenk an der Uhrkette. Gleichzeitig aber faßte er den festen
Vorsatz, die Ratschläge des erfahrenen Försters genau zu befolgen.
Die niedrige Dachstube, die als Schlafgemach diente, wurde
tagsüber fleißig gelüftet und erhielt auch während der Nacht frische
Luft durch das anstoßende Wohnzimmer. Die Fenster der kleinen
Geschäftsstube gewährten jetzt auch wieder dem erquickenden Morgen-
hauche wie der milden Abendlust den lange versagten Eintritts Die
wunderbare Waffe hätte ja auch in einer verdorbenen Luft die ge-
rühmte Heilkraft verloren! Aus diesem Grunde vermied der Ge-
nesende auch soviel als möglich die staubigen Straßen und dumpfen
Gassen, und in den engen Wirtsstuben, deren Luft durch Rauchen
und Atem verdorben wird, war der Jüngling gar nicht mehr zu
finden. Und wo noch sonst die Luft durch die Abfälle des Haus-
gebrauchs oder durch vermodernde Pflanzen und Tiere, durch
Sümpfe und Senkgruben oder durch gewerbliche Anlagen verun-
reinigt war, da durste auch das Kleinod des Försters nicht weilen.