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1. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 72

1910 - Wittenberg : Herrosé
tus. Der brave Alte war nicht nur ein eifriger Waidmann und sorg- samer Hausvater, sondern auch ein edler Menschenfreund. Mancher Kranke hatte schon aus dem schlichten Forsthause ein wirksames Heil- mittel oder einen weisen Rat bekommen, und bei vielen Unglücks- sallen hatte die geschickte Hand des alten Försters Linderung und Rettung gebracht. Der stets gefällige und freundliche Hubertus war jedoch kein Wunderdoktor oder Quacksalber. Er dachte sehr gering von seiner werktätigen Nächstenliebe und wies jede Belohnung für seine Bemühungen zurück. Bei schweren Krankheiten und in zweifel- haften Fällen verordnete er immer dasselbe: „Holt schnell einen geschickten Arzt und erfüllt gewissenhaft alle seine Befehle und Wünsche." Eines Tages trat auch ein junger Mann aus der benachbarten Stadt in die freundliche Wohnung des Försters. Als Hubertus den hochaufgeschossenen, hageren und blassen Jüngling sah, strich er be- denklich den langen, weißen Bart und dachte bei sich: „Der arme Mensch, — er welkt dahin wie eine Blume des Waldes im engen Zimmer." Dann fragte er nach der Beschäftigung und Lebensweise seines Gastes. „Dir kann geholfen werden," sprach der Förster, nachdem er die Klagen des Jünglings gehört und erwogen hatte. Dann holte er aus dem Eßschranke von schwerem Eichenholze ein kleines Pistol hervor. Es war an der Mündung festverschlossen und nicht größer als ein Glied des Fingers. „Nimm diese unscheinbare Waffe," sprach der ehrwürdige Greis mit ernsten Worten, „und trage sie ein Jahrlang als Zierstück an deiner Uhrkette. Sie wird die Feinde deiner Gesundheit vertreiben und dich mehr kräftigen als kostbare Speisen und Getränke. Aber nur in der reinen, belebenden Luft kann sie ihre Heilkraft ausüben; darum sollst du sie täglich zwei Stunden lang in Wald und Feld umhertragen und vor jedem schäd- lichen Luftzuge sorgfältig in acht nehmen." Nach dieser Mahnung begab sich der Jüngling aus den Heim- weg und oftmals schaute er verwundert und enttäuscht auf das selt- same Geschenk an der Uhrkette. Gleichzeitig aber faßte er den festen Vorsatz, die Ratschläge des erfahrenen Försters genau zu befolgen. Die niedrige Dachstube, die als Schlafgemach diente, wurde tagsüber fleißig gelüftet und erhielt auch während der Nacht frische Luft durch das anstoßende Wohnzimmer. Die Fenster der kleinen Geschäftsstube gewährten jetzt auch wieder dem erquickenden Morgen- hauche wie der milden Abendlust den lange versagten Eintritts Die wunderbare Waffe hätte ja auch in einer verdorbenen Luft die ge- rühmte Heilkraft verloren! Aus diesem Grunde vermied der Ge- nesende auch soviel als möglich die staubigen Straßen und dumpfen Gassen, und in den engen Wirtsstuben, deren Luft durch Rauchen und Atem verdorben wird, war der Jüngling gar nicht mehr zu finden. Und wo noch sonst die Luft durch die Abfälle des Haus- gebrauchs oder durch vermodernde Pflanzen und Tiere, durch Sümpfe und Senkgruben oder durch gewerbliche Anlagen verun- reinigt war, da durste auch das Kleinod des Försters nicht weilen.
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