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1. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 127

1910 - Wittenberg : Herrosé
127 Lebensweise und gewissenhafte Benutzung der Zeit und Kraft machten dies möglich. Bei Hohen und Niederen war er kurz an- gebunden in der Rede. Des Tages pslegte er nur einmal zu essen. Ein kleiner Vorrat von Brot fand sich in den Taschen seines Wagens stets vor. Solche beinahe übermenschliche Tätigkeit entfaltete der Mann, der sich fast nie ganz gesund fühlte. Oft war er vom Pferde gestürzt und hatte sich innere und äußere Verletzungen zugezogen. Auch im Alter gönnte er sich keine Ruhe. Selbst Unglück und Un- dank'konnten seine aufopfernde Tätigkeit und seinen Lebensmut nicht schwächen oder lähmen. Mit Mut und Ausdauer harrte er auf seinem Posten aus. Heim lebte sehr einfach und richtete seine Wirtschaft möglichst sparsam ein. Seine Frau stand ihm darin wacker zur feite. Durch weise Sparsamkeit war es möglich, jährlich etwas zu erübrigen und allmählich ein gewisses Vermögen anzusammeln, das Heim den Sei- nigen zu hinterlassen hoffte. Er gab das Geld in ein Handlungs- haus, das einen guten Ruf hatte ltnb volle Sicherheit zu gewähren schien. Aber die Sache änderte sich. Es kam die Zeit, da die Fran- zosen ihre Macht über Norddeutschland ausbreiteten und durch Plünderungen, Steuern, Einquartierungen und Lieferungen die Länder aussagen. Das waren schlimme Tage. Handel und Wandel stockten, die Gewerbe lagen darnieder, der Wohlstand schwand, und mancher, der früher ohne Sorgen gelebt hatte, mußte zum Bettelstäbe greifen. In dieser trüben Zeit, in der so manches blühende Unternehmen zu gründe ging, ging auch jenes Handelshaus unter, dem Heim sein Geld anvertraut hatte, und Heim verlor sein ganzes sauer erwor- benes Vermögen. Das war ein harter Schlag für einen angehenden Sechziger. Nach einigen Tagen besuchte ihn ein lieber Freund und redete ihn also an^ „Es hat mir herzlich leid getan, daß du einen so harten Ver- lust erlitten hast." „Ja," antwortete Heim, „zwei Tage war ich sehr geschlagen, aber jetzt habe ich's, Gott sei Dank, überwunden." „Wie hast du das angefangen?" fragte ihn verwundert der Freund. t „So, wie ich immer tue, wenn ich mir selber nicht zu raten weiß," erwiderte Heim. „Ich konnte anfangs den Verlust gar nicht vergessen. Tag und Nacht mußte ich daran denken. Wenn ich bei meinen Kranken war, mußte ich mir Mühe geben, meine Gedanken zusammenzunehmen; wenn ich zu Hause war, ließ ich den Kopf hängen; wenn ich bei Tische saß, schmeckte mir kein Essen; meine Kinder waren verschüchtert. So konnte es nicht bleiben. Ich ging in die Kammer und bat Gott auf meinen Knien, daß er mir wieder Ruhe und Mut gebe. Da war es mir, als ob der Herr zu mir spräche: Heim, du bist eines armen Pastors Sohn, und ich habe dich gesegnet in deinem Hause. Jahrelang habe ich dir dein Geld ge- lassen, jetzt habe ich dir's genommen. Nun höre auf zu jammern,
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