1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, W., Schanze, J.
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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Verkehr, Kunst und Wissenschaft und jeder Fortschritt der Kultur
wären eine Unmöglichkeit. Andrerseits hat aber auch jeder Eigen-
tümer die Pflicht, auf das Eigentum seiner Nebenmenschen Rück-
sicht zu nehmen . Wir müssen z. B. dem Nachbarn gestatten, gegen
Entschädigung über unsern Grund und Boden einen Weg zu legeu,
falls der andere ohne diesen Notweg sein Grundstück nicht aus-
zunutzen vermag. Kann ein Haus nur dann errichtet oder aus-
gebessert werden, wenn das Gerüst auf oder über dem Boden des
Nachbars angebracht wird, so muß letzterer die Erlaubnis dazu
erteilen; nur muß ihm der etwa angerichtete Schaden ersetzt
werden.
Der Erwerbstrieb kann in Habsucht und Geiz ausarten;
dann liegt die Gefahr nahe, daß er den Menschen dazu antreibt,
andere zu übervorteilen oder sich durch Fälschung, Unterschlagung
und Diebstahl fremdes Eigentum anzueignen. Auch die große An-
häufung von Eigentum in einer Hand kann für den Menschen
üble Folgen haben, indem sie ihn zur Verweichlichung und
Sinnlichkeit, zu Hochmut, Herrschsucht und Verachtung der Mit-
menschen verleitet.
Da es auch geistige Arbeit gibt, so kaun man auch von
geistigem Eigentum sprechen. Wird materielles Eigentum auf einen
andern übertragen, so hat der bisherige Besitzer kein Recht mehr
darauf. Die wissenschaftlichen Forschungen eines Gelehrten werden
indessen durch Veröffentlichung zum Gemeingut, und dennoch
bleiben sie das geistige Eigentum ihres Urhebers. Die Gesetze
tragen dafür Sorge, daß auch von dem geistigen Eigentum zunächst
der Urheber den verdienten Nutzen zieht. Wenn das Werk eines
Dichters ohne dessen Zustimmung nachgedruckt wird, so wird dies
als literarischer Diebstahl bestraft. Die Erfindung eines Forschers
wird durch das Patentamt geschützt, damit sie nicht jedermann ohne
weiteres ausnutzen kann.
Man übergebe hundert Landleuten je ein gleichgroßes und
gleichwertiges Äckergut mit allem Zubehör an Vieh und Geräten
zur Bewirtschaftung, und nach wenigen Jahren wird man finden,
daß die einen wohlhabend wurden, die andern zurückgingen; wieder
andere haben vielleicht gar ihren Besitz an die Wohlhabenden ver-
kauft, bei denen sie nun gegen Lohn arbeiten. Die ersten waren
geschickt, fleißig und sparsam; den andern fehlten diese Tugenden.
Da die Kräfte, Anlagen und Eigenschaften der Menschen also ver-
schieden sind, so wird auch stets das Eigentum der Menschen ver-
schieden bleiben. Oft hört man allerdings die Behauptung, alle
Menschen seien von Natur gleich; deshalb müßten sie auch alle
wirtschaftlich gleich sein. Freilich haben alle Menschen denselben
Schöpfer, dieselbe Bestimmung, dieselben Pflichten und Rechte, die
in ihrer Natur begründet sind, und darum sollen sie sich als Brüder
betrachten. Allein wie viele Verschiedenheiten entstehen nicht durch
das Lebensalter, die körperliche Entwicklung, die geistigen Anlagen,
die sittlichen Eigenschaften! Diese Verschiedenheit hat notwendig