Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 1 - S. 7

1895 - Essen : Bädeker
7 ohne eben hoffen zu können, dass sie sieh in dieser Welt jemals wieder sehen würden. Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen. Hessen, Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre blieb und bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein Glück zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und geriet in Frankfurt a. M. unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiserliche Dienste zu nehmen und ihn als Rekruten nach Wien brachten. Da er aber schwächlich und fast beständig krank war, so liess man ihn nach einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte. Fast nackt und bloss kam er nach Sachsen, um daselbst wieder Arbeit zu suchen; allein, da ihn in seinem elenden Anzuge niemand zur Arbeit nehmen wollte, so musste er endlich betteln. Eines Abends spät sprach er in einem Dorfe (es war gerade an einem Sonnabende) bei einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte dem Meister, welcher mit vier Gesellen vor der Esse arbeitete, dass die Stimme des Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er nahm die Hängelampe in die Hand, schaute dem Bettler ins Gesicht, und — „je Bruder, bist du’s, oder bist du s nicht?" riefen beide fast zu gleicher Zeit; und in der That waren es die beiden Kameraden, die seit der Trennung in Warschau nichts mehr voneinander gehört hatten. Der Schmied, welcher unterdessen in dieser Schmiede in Arbeit gestanden und durch die Heirat mit der Witwe, der sie gehörte, reich geworden war, war ganz ausser sich vor Freuden. Er herzte und küsste den Schneider und schämte sich seiner nicht, ob er gleich ein zerlumpter Bettler war. Er führte ihn mit lautem Jubel in seine Stube, drückte ihn in den Grossvaterstuhl am Ofen nieder, sprang auf einem Beine wie ein Knabe, und alle seine Hausgenossen sperrten vor Verwunderung die Augen weit auf. „Lene!" sprach er zu seiner Frau, „geschwind spring hinauf, und hole ein feines Hemd und meinen Sonntagsstaat herunter, dass der gute Freund da sich anders ankleiden kann!" Der Schneider wollte allerlei dagegen einwenden, aber der Meister hielt ihm den Mund zu und sagte: „Schweig und sprich mir kein Wort dagegen! Du hast’s wohl um mich verdient, dass ich mein bisschen Hab’ und Gut mit Dir teile." Es half nichts, der Schneider musste sich putzen und aus einer langen Pfeife rauchen. Der Meister gebot ihm, sich gerade so zu pflegen, als ob er in seinem eigenen Hause wäre, und nachdem er in möglichster Eile sein Tagewerk vollends geendet hatte, setzte er sich mit ihm zu Tische und liess alle seine Leute hereinkommen, dass sie den Fremden nun recht genau besehen sollten. Dabei erzählte er ihnen dann, wer der Fremde eigentlich sei, und was es mit ihrer beiderseitigen Freundschaft für eine Bewandtnis habe. Da hatten alle eine herzliche Freude über den An- kömmling, und besonders die Frau vom Hause, die ihren Mann sehr liebte und oft dem guten Schneiderburschen, der in Polen eine so treue Stütze für ihren Mann gewesen war, ehe sie ihn persönlich kannte, Gottes Segen gewünscht hatte. Der Meister liess noch am nämlichen Abend zwei fette Gänse schlachten und auf den folgenden Tag alle Freunde und Gevattern des Dorfes zu sich laden. „Juchhei! das soll mir ein Freudentag werden!" rief er laut — laut auf und schwang dabei seine Mütze vor Freude. Der Sonntag kam und in der Schmiede ging’s so fröhlich her, als wenn es Kindtaufe gewesen wäre. Nachdem die Mahlzeit geendigt war, erzählte der Schmied alle seine Begebenheiten und besonders, was
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer