1895 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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wissen," sagte ein Freund, warum du gerade diesen Knaben, der doch keinen
einzigen Empfehlungsbrief hatte, bevorzugtest?" — „Du irrst", lautete die
Antwort; „dieser Knabe hat viele Empfehlungen. Er putzte seine Füße ab,
ehe er ins Zinuner trat, und machte die Thür zu; er ist daher sorgfältig.
Er gab ohne Besinnen feinen Stuhl jenem alten lahmen Manne, was seine
Herzensgüte und Aufmerksamkeit zeigt. Er nahm seine Mütze ab, als er
herein kam, und antwortete auf meine Frage schnell und sicher; er ist also
höflich und hat Lebensart. Er hob das Buch auf, welches ich absichtlich auf
den Boden gelegt hatte, während alle übrigen dasselbe zur Seite stießen oder
darüber stolperten. Er wartete ruhig und drängte sich nicht heran, — ein
gutes Zeugnis für sein anständiges Benehmen. Ich bemerkte ferner, daß
sein Rock gut ausgebürstet und seine Hände und sein Gesicht rein waren.
Nennst du dies alles keinen Empfehlungsbrief? Ich gebe mehr darauf, was
ich von einem Menschen weiß, nachdem ich ihn zehn Minuten lang gesehen,
als auf das, was in schön klingenden Empfehlungsbriefen geschrieben steht."
Magdcb. Ztg.
13. 1-6i' Eintritt in das Geschäft.
Anton trat mit klopfendem Herzen in den Hausflur und lockerte den
Brief seines Vaters in der Brusttasche. Er war sehr kleinmütig geworden,
und sein Kopf war so schwer, dass er sich am liebsten einen Augenblick
hingesetzt hätte, um auszuruhen. Aber wie Ruhe sah es in dem Hause
nicht aus. Vor der Thür stand ein grosser Frachtwagen, in dem Hause
standen mächtige Fässer und Ballen, und riesengrosse, breitschultrige Männer
mit Lederschürzen und kurzen Haken im Gürtel trugen Leiterbäume, klirrten
mit Ketten, rollten die Fässer und schnürten dicke Stricke durch künst-
liche Knoten zusammen. Dazwischen eilten Handlungsgehülfen, die Feder
hinter dem Ohr, Papier in der Hand, ab und zu, und Fuhrleute in blauen
Kitteln nahmen die Papiere, die Ballen und die Fässer in Empfang mit
der geschäftlichen Würde, welche die Thätigkeit aller verantwortlichen
Menschen zu bezeichnen pflegt. Hier war kein Ort der Ruhe, Anton
stiefs an einen Ballen, fiel beinahe über einen Hebebaum und wurde durch
das „Vorgesehen!“, welches ihm zwei Männer mit Lederschürzen zuriefen,
noch mit Mühe vor dem Schicksale bewahrt, unter einer grossen Öltonne
plattgedrückt zu werden.
Im Mittelpunkte der Bewegung, gleichsam als Sonne, um welche sich
die Fässer, die Arbeiter und Fuhrleute herumdrehten, stand ein junger
Herr aus dem Geschäft, ein Herr mit entschlossener Miene und kurzen
Worten, welcher als Zeichen seiner Herrschaft einen grossen schwarzen
Pinsel in der Hand hielt, mit dem er bald riesige Hieroglyphen auf die
Ballen malte, bald den Aufladern ihre Bewegungen vorschrieb. Diesen
Herrn fragte Anton mit klangloser Stimme nach dem Herrn des Geschäfts
und wurde durch eine kurze Bewegung des Pinselstiels in den hinteren
Teil des Hausflurs nach dem Kontor gewiesen. Zögernd trat Anton an
die Thür, es kostete ihn einen grossen Entschluss, den Griff mit der Hand
zu drehen, und als die Thür geräuschlos aufging und er in das Dämmer-
licht der grossen Arbeitsstube sah, da wurde ihm so angst, dass er kaum
über die Schwelle schreiten konnte. Sein Eintritt machte wenig Aussehen.
Ein halbes Dutzend Schreiber fuhren hastig mit den Federn über die
blauen Briefbogen, um noch die letzten Züge vor dem Schlüsse des Geschäfts