1895 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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der eine dieses, der andere jenes Gewerbe trieb und sich zunächst ein Tausch-
handel entwickelte; wenn dadurch die Fragen über das „Mein und Dein"
immer schwieriger wurden; wenn endlich unter den durch ihre Wohnsitze
verbundenen Köpfen auch unruhige waren, welche in Schranken gehalten und
nötigenfalls durch Strafen von der Wiederholung ihrer Ruhestörungen und
Missethaten abgeschreckt werden mußten: so ist leicht einzusehen, daß es fester
Gesetze bedurfte, durch welche Handel und Wandel geregelt und jedem das
Maß seiner Freiheit zugewiesen wurde, damit er die andern nicht in ihren
Ansprüchen auf die gleiche Freiheit beeinträchtigte. Und nicht nur mußte
bestimmt werden, was als Recht gelten sollte, sondern auch, wer es zu
verwalten und darüber zu wachen habe, daß es nicht übertreten würde.
Schon das Zusammenleben nomadischer Volksstämme ist undenkbar ohne
gewisse rechtliche Bestimmungen und ohne die Unterordnung der Menge
unter ein gemeinsames Oberhaupt. Wieviel weniger läßt sich eine aus
so vielen und so verschiedenartigen Bestandteilen bestehende Gemeinschaft
denken, wie diejenige, in der wir leben, ohne daß noch eine weit genauere
Bestimmung dafür getroffen ist, daß jedem das Seine werde: dem Käufer
und Verkäufer, dem Gläubiger und Schuldner, dem Herrn wie dem Diener,
dem Unterthanen wie dem Fürsten rc. Ein solches strenggeordnetes, wohl-
gegliedertes Ganze aber, worin jedem seine Rechte und Pflichten angewiesen
sind und für die Vollziehung beider gesorgt wird, ist der Staat.
Mit diesem Worte haben wir die vollkommenste Form des gesellschaft-
lichen Zusammenlebens ausgesprochen. Wie der Ackerbau die Grundlage für
alle höhere Gesittung, so ist der Staat die vollendetste Ausbildung derselben;
alle Güter des Kulturlebens finden in seinem Schoße ihren Schutz und
ihre Pflege.
Was sollte aus uns werden, wenn plötzlich alles das aufhörte, was wir
jetzt an staatlicher Fürsorge genießen; wenn sich außer unsern nächsten Ange-
hörigen niemand mehr um uns bekümmerte; wenn wir Haus und Hof,
Handel und Wandel und selbst unser Leben und Sterben dem bloßen guten
Willen der Menschen anheimstellen müßten; wenn jeder sich selbst zu schützen
hätte und uns keine Obrigkeit bewachte! Wie schnell wären alle die Güter
vernichtet, deren wir uns jetzt erfreuen, wie rasch würden wir in jenen Zu-
stand zurücksinken, wo jeder allein für sich sorgt und nur das Recht des
Stärkeren gilt! Was würde aus allen den gemeinnützigen Einrichtungen
werden, die jetzt unser Leben fördern und uns Sicherheit oder doch, wenn
das Unglück einmal nicht zu verhüten ist, Hülfe bieten, und zwar nicht nur
gegen die Eingriffe der Menschen, wie Diebstahl, Mord rc., sondern auch
gegen feindliche Naturgewalten, wie Feuers-, Wassers- und Hungersnot, ver-
heerende Krankheiten rc. Es würde sich das Wort Schillers erfüllen:
„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
sich alle Bande frommer Scheu;
der Gute räumt den Platz dem Bösen,
und alle Laster walten frei."
Und wenn wir etwa meinen wollten, dafür sei der Staat, den sich über-
haupt fälschlich manche nur als einen unbequemen Gebieter und Steuerforderer
denken, nicht notwendig, das nämliche ließe sich auch durch eine einfache
Verabredung der Bürger untereinander erreichen: so fragt euch nur, wie