1895 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
150
bis zum Tagelöhner und Kleinknecht herab hätten die ganze Feldmark
gemeinschaftlich zu bestellen. Würde das eine Wirtschaft werden!
Wollte der eine Klee säen, verlangte der andere vielleicht Brache, der
dritte Kartoffeln gesteckt etc. Auch hier würden Trägheit, Liederlichkeit
und Grofsmäuligkeit bald obenauf und der Bankerott vor der Thür sein.
Und wie wäre es mit der Vermögensgleichheit? Der eine würde
sein Geld verjubeln, der andere zusammenhalten. Nach kurzer Zeit
wäre die Ungleichheit ebenso gross da, wie jetzt. Es würde wieder
Reiche, Wohlhabende und Arme geben — und die Teilerei müsste wieder
ihren Anfang nehmen. Wollten sich die Besitzenden das nicht gefallen
lassen, müssten sie zum Knüttel oder Schwert greifen.
Und zu dem äussersten Unfrieden käme der innere hinzu. Der Mensch
hat nicht bloss einen Magen, sondern auch ein Herz. Der Sozialist
sorgt allerdings für beide. Der Magen soll sein reichliches Futter, das
Herz seine lauten, weltlichen Freuden haben. Dass es aber Freuden
höherer Art giebt, Freuden, die mit einem seligen, stillen Frieden ver-
bunden sind, das will der Sozialist nicht wissen. Darum braucht er
keinen Gott, keine Kirche, keine Ewigkeit. Und doch gleichen die welt-
lichen Freuden nur den Träbern, womit der verlorene Sohn im Evan-
gelium sich den Magen füllte und verdarb. Sie füllen das Herz und
verderben es. Verstehe mich nicht falsch, Fritz, als wollte ich gar keine
weltlichen Freuden. Ist aber das Herz voll Unfrieden, dann ist der äussere
Streit auch nicht fern.
Summa: ein Volksstaat im Sinne der Sozialisten und Kommunisten
ist ein Luftschloss. Er wird ewig widerhallen von Krieg und Kriegs-
geschrei, und Säbel und Kartätschen werden das Regiment führen.
Fritz, Du magst vielleicht sagen: „Ja, Du legst in Deinem Kopfe
Dir die Sache nur so zurecht, in der Wirklichkeit mag sie sich ja viel-
leicht anders machen."
Nun, so will ich Dir ein Stück aus der Wirklichkeit erzählen. Im
vorigen Jahrhundert hatte in Frankreich eine Reihe schandbarer Könige
schandbar regiert. Hab und Gut der Unterthanen war durch sie auf die
schmählichste Weise verprasst worden, bis das Volk selbst liederlich ge-
worden und an Herz und Vermögen durch und durch verarmt war. Da,
im Jahre 1789, brach der Aufruhr los. Der König Ludwig Xvi. war
besser als seine Vorgänger, ein guter, wohlwollender, aber schwacher
Mann. Er, die Königin und sein kleiner Sohn wurden gefangen ge-
nommen, Vater und Mutter öffentlich geköpft, das Kind zu einem Schuster
in die Lehre gethan. Das arme Wesen wurde so unmenschlich gequält,
bis es wahnsinnig wurde und elendiglich umkam. Frankreich wurde nun
ein richtiger Volksstaat. Drei bodenlos rohe Männer, Robespierre, Danton
und Marat, führten in der obersten Behörde die Herrschaft. Und nun
begann das, was die Sozialisten noch heute wollen: Rang, Stand und
Reichtum wurden aus der Welt geschafft. Das „Expropriieren" nahm
seinen Anfang. Die königliche Familie, die Edelleute, die Geistlichen,
die Reichen, alles wurde ermordet. Mit Knütteln und Schwertern wurden
die ersten Opfer auf offener Strasse erschlagen. Das zog nicht, und man
erfand eine Köpfmaschine, das Fallbeil. Tag und Nacht arbeitete das
mörderische Werkzeug, so dass die Henker buchstäblich bis über die
I