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1. Teil 1 - S. 183

1895 - Essen : Bädeker
183 95. Wom Wrannt weintrinken. An der Entsittlichung vieler Menschen, an der Fülle der Zucht-, Kranken- Äind Irrenhäuser, an der großen Zahl der Selbstmorde, an der Zerstörung .des Familienglückes, an Armut und Bettelei, an Arbeitsscheu und Landstreichertum trägt zum größten Teile das Branntweintrinken die Schuld. In Deutschland wurden 1886 für 496 Millionen Mark Branntwein verbraucht, 66 Millionen Mark mehr als für das Heer. Welches Elend steckt in solcher Zahl! Auf den Kopf der Bevölkerung kommen 45 Liter Branntwein. 30 °/o aller Geistes- kranken haben ihr fürchterliches Leiden dem Branntweingennsse zuzuschreiben, 50 o/o aller Verarmten sind Säufer und 70 % aller Verbrecher Trinker. Krieg, Cholera, Seuchen und Pest richten viel Elend in der Welt an, aber -der unendliche und überall verbreitete Jammer, welchen das Laster der Trunksucht angerichtet, ist größer; denn es verwüstet Leib und Seele! Dieser Feind des häuslichen und bürgerlichen Wohls ist leider in viele Wohnungen eingedrungen, lärmt da gar arg, schlägt die Möbel entzwei, trägt die Betten zum Hause hinaus, zerreißt die Kleider, prügelt die Kinder wohl gar zu Krüppeln, mißhandelt die Frauen und legt am Ende dein Hausvater den Strick um den Hals, ihm die Kehle auf immer zuzuschnüren, oder treibt ihn hinab in den Fluß, um feinen Durst auf immer zu löschen. Aber ist denn der Branntwein wirklich ein so böser, gefährlicher Feind? Es scheint freilich nicht so. Er sieht ganz unschuldig aus, so rein und unschuldig, wie das reine, klare Wasser, das Gott zur Erquickung aller Lebendigen aus der Erde sprudeln läßt. Aber er ist nicht so unschuldig, er ist ein Meuchelmörder und führt ein verderbliches, langsam aber sicher wirkendes Gift mit sich, das allmählich den Mut lähmt, die Kraft bricht, die Gesundheit zerstört, den Wohlstand untergräbt, den guten Ruf raubt, den Frieden des Hauses und den Frieden der Seele vernichtet. Habt ihr sie nicht gesehen, die Männer und Frauen, die im schönsten Lebensalter nicht mehr angestrengt arbeiten können? Der Branntwein brach ihre Kraft! — Habt ihr sie nicht gesehen, die kahlen, ausgeleerten Wohnungen, in denen kaum noch ein Stuhl und ein Tisch und ein Strohlager, aber kein Bett, kein Schrank, kein Sonntagsrock und keine Bibel mehr gesehen wird? Die Branntweinflasche hat die Wohnung leer gemacht! Habt ihr sie nicht gesehen, jene wankenden und schwankenden Gestalten, denen die Gasse nicht breit genug ist und hinter welchen die Gassenbuben herschreien? Wer hat sie so herab- gewürdigt zu den Tieren, wer hat sie um ihre Ehre gebracht vor den Menschen? Das that der Branntwein! — Und wessen sind die schmutzigen, zerlumpten Kinder mit ungekämmten Haaren, vor Hunger eingefallenen, todblassen Wangen? Ach, es sind die Kinder einer oft im Branntwein sich berauschenden Familie, die sie hinausstieß auf die Straße zum Betteln. — Und wer schaut so ängstlich hinein durch die Fenster ins Wirtshaus und zittert und erbebt bei jedem neuen Getobe? Das ist die liebende Frau. Sie sucht den ihr immer noch teuren Mann und darf sich doch nicht hineinwagen in das wilde Gelage, damit sie nicht gehöhnt und weggestoßen werde. In dunkler, feuchter Nacht steht sie da, ob sie auch vor Kälte zittert, sie steht da und harrt, ob der Mann nicht herauskomme, daß sie ihn bitten könne, mit heimzukehren zu den verlassenen Kindern? — Und wen trägt man da hinab vom wilden Tanz- saale? Es sind Verwundete. Als der Branntwein ihre Köpfe erhitzte und die Besinnung geraubt hatte, da wurden die Mesier gezogen, die Gläser .geworfen — und Menschenblnt vergossen. — Und wen zieht man dort aus
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