1895 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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werden, und man dürfe dabei selbst vor Aufruhr und Empörung, vor Krieg
und Gewaltthat nicht zurückschrecken. Die Unzufriedenen in Frankreich
machten sich die Geldverlegenheit zu nutze, in welche der Staat nicht
ohne Schuld Ludwigs Xiv. und Xv. geraten war.
Ludwig Xvi., ein Fürst von reiner Sitte und edler Gesinnung, der
1774 den Thron von Frankreich bestiegen hatte, war ernstlich bemüht,
den drückenden Übelständen entgegenzuwirken. Leider aber gelang es
ihm nicht, sondern er selbst wurde das Opfer für die Sünden seiner Vor-
gänger. Menschen, welche nichts oder nicht viel zu verlieren hatten, die
dagegen bei einer allgemeinen Verwirrung zu gewinnen hofften, wiegelten
das Volk auf, und im Jahre 1789 brach in Paris eine Revolution aus,
welche die furchtbarsten Schrecknisse und Greuel zur Folge hatte. An
die Stelle des Gesetzes trat Willkür und Pöbelherrschaft, und selbst das
Heiligste war der Lästerung und dem Spotte preisgegeben. Wer nur in
den Verdacht kam, missbilligend auf das hinzublicken, was die wütende
Rotte that, oder wer aus einem andern Grunde verhasst war, der wurde
umgebracht. Was aber in Paris geschah, ahmte man im ganzen Lande
nach. Der Frevel ging so weit, dass selbst das Leben des Königs
nicht mehr heilig war. Nachdem man ihn abgesetzt, verhaftet und
Frankreich zur Republik erklärt hatte, wurde er am 17. Januar 1793
zum Tode verurteilt und der 21. Januar zu seiner Hinrichtung bestimmt.
Auch seine Gemahlin, die Tochter der deutschen Kaiserin Maria Theresia,
und seine fromme Schwester Elisabeth endeten ihr Leben unter dem Fallbeile.
Fast eine Million Franzosen hat in den Greueln der Revolution gewaltsam
das Leben verloren. Es zeigte sich in dem sonst so gebildeten Frankreich
eine Roheit und Unmenschlichkeit, von der die Geschichte kein Beispiel
mehr auszuweisen hat. Jene Ruchlosen, die sich gegen Thron und Altar
empörten, vollzogen selbst einer an dem andern die Strafe für ihr teuflisches
Beginnen; einer erwürgte den andern, um den Besitz der Herrschaft zu
erlangen oder sich darin zu behaupten.
Im Jahre 1793 feierte man in Paris das Fest der Vernunft, indem
man eine übelberüchtigte Schauspielerin in feierlichem Umzuge auf einem
Triumphwagen in die Hauptkirche führte, dort auf den Hochaltar setzte
und ihr abgöttische Verehrung erwies. Die Kirchen wurden geplündert,
verwüstet und viele zerstört, die h. Gefäsee verunehrt, die Kreuze umge-
worfen und zertrümmert. Um jede Erinnerung an die christliche Zeit zu
vernichten, führte man einen neuen Kalender mit neuen Festen und Ruhe-
tagen ein und begann, die Zeit von der Einführung der Republik an
(21. September 1792) zu rechnen. Allmählich aber wurde man besonnener;
man machte sich von der Besessenheit los, die über das damalige Ge-
schlecht gekommen war, und erkannte, dass auf dem Wege der Greuel,
der Gewaltthätigkeiten, des Raubes und des Mordes das Glück der
Menschen unmöglich bewirkt werden könne. Die unnatürliche und von
der ärgsten Leidenschaftlichkeit hervorgerufene Aufgeregtheit ging am
Schlüsse des Jahrhunderts in eine gewisse Abspannung über, und man
näherte sich wieder der monarchischen Regierungsform, die mehr
Dauer und innere Ruhe versprach.
Staunend hatte Europa diesem furchtbarsten aller Schauspiele, die die
Geschichte je geboten, zugeschaut. Auf das Nachbarland Deutschland
wirkten diese Begebenheiten zunächst und am mächtigsten, jedoch weniger