1895 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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Die Leinenindustrie erreichte unter Friedrich dem Grossen ihren
Höhepunkt. Flachs wurde in allen Gegenden des Landes, vorzüglich
aber in denen von Neisse, Öls, Sagan u. a. 0. gewonnen. Die Spinnerei
beschäftigte den grössten Teil der Einwohner, in den Mussestunden sogar
die Soldaten. Am feinsten wurde gesponnen bei Tauer, Liegnitz, Greifen-
berg, am dauerhaftesten bei Öls, Wartenberg und Neisse und zwar überall
auf der Spindel. Die Weberei ernährte die ganze Gebirgsgegend, sie
blühte um Greifenberg, Hirschberg, Schmiedeberg, Landshut, Waldenburg,
in der Grafschaft Glatz. Hirschberg war der Mittelpunkt der Ausfuhr und
galt damals nächst Breslau für die zweite Handelsstadt Schlesiens. Der
Hauptweg ging nicht durch die Mark, sondern durch Sachsen und Lüneburg
nach Hamburg; ein anderer Weg auf der Oder nach Stettin oder auch
durch den Friedrich-Wilhelmskanal und die Spree nach der Elbe und
wieder nach Hamburg. Man schätzte um 1786 den Betrag der schlesischen
Leinwandausfuhr auf 15 Mill. Mark.
Auch die Tuchmanufaktur hob sich unter Friedrich dem Grossen
von neuem; doch erreichte sie damals die alte Blüte nicht wieder. Die
Verfertigung der im 17. Jahrhundert erfundenen Mezzolane, dünner Zeuge
von Wollen- und Leinengarn, beschäftigte namentlich die Gegend von
Reichenbach. Doch auch dieser Gewerbzweig ging nach dem siebenjährigen
Kriege wieder zurück.
Einen bedeutenden Aufschwung nahm seit der preussischen Zeit der
Bergbau, namentlich die Gewinnung von Eisen und Steinkohlen. Das
ganze, grosse Gebiet der Eisenindustrie blühte nun auf; man fing an, aus
schlesischem Eisen Stahl zu machen. Eine in Breslau angelegte Nadel-
fabrik beschäftigte um 1780 über 100 Arbeiter. Die Gewinnung der
Steinkohlen, welche im früheren Zeitraume des Holzreichtums unbeachtet
geblieben war, stieg 1780 auf 30 000 Tonnen. Kleinere Gewerbe dieses
Gebietes waren die Herstellung blauer Kobaltsteine zu Querbach bei
Friedeberg, das Vitriolwerk bei Schreiberhau, die Kupfergrube bei Rudelstadt,
das Arsenikbergwerk bei Reichenstein, die Galmei- und Bleibergwerke in
Oberschlesien. Die Glashütten suchte man durch Heranziehung böhmischer
Arbeiter zu heben, sie blühten längs des ganzen Gebirges auf. Friedrich
nötigte auch die Klöster zu gewerblicher Thätigkeit, namentlich zu Versuchen
in neuen Zweigen, z. B. in der Nachahmung von englischen Ledergerbereien,
französischem Seidenbau, sächsischer Damastweberei, westfälischer Draht-
zieherei. Die Klöster Grüssau, Leubus, Sagan und andere beschäftigten
eine Menge Arbeiter.
Schloss auch das vorige Jahrhundert nicht so günstig ab, wie es
um seine Mitte versprochen hatte, so brachte der Anfang des jetzigen
eben keine Verbesserung. Es bedurfte der langen Friedensjahre nach
den Freiheitskriegen und des durch die Einführung der Gewerbefreiheit
und durch das Erwachen eines lebendigen Nationalgefühls gesteigerten
Thätigkeitstriebes und der im Bunde mit diesem sich regenden mutigeren
Unternehmungslust, um, wie im ganzen deutschen Vaterlande, so auch in
Schlesien die Industrie wieder zu erfreulicher Entfaltung, sowohl in Bezug-
auf die äussere Ausdehnung wie innere Vervollkommnung gelangen zu
lassen. Ganz besonders hat sich in den letzen Jahrzehnten der Kohlen-
bergbau in dem sogenannten oberschlesischen Becken, dem zweitgrössten
und zweitwichtigsten des Deutschen Reiches, entwickelt. Derselbe kommt