1892 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 28
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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217. Die Pflanzenwelt im Herbste.
Der Herbst hält seinen Einzug unter dem Geleite der Spätsommer-
blumen und bringt uns helle Tage mit durchsichtiger Atmosphäre, welche
dem Auge nur wenige Hindernisse in den Weg legt und einen fast un-
begrenzten Blick in die Weite gestattet.
Die Ob st bäume, welche in unserm Vaterlande Gehöfte und
Weiler, Dörfer und Städte mit einem grünen Kranze umgeben, die
Straßen entlang stehen und selbst in vereinzelten Gruppen auf Wiesen-
grund und Flur einen Platz finden, bedecken sich mit ihren in allen
Farben prangenden Früchten, welche uns von den Ästen und Zweigen
entgegen lachen. Die Rebe, welche in einzelnen Gegenden Fenster und
Thüren der ländlichen Wohnungen mit ihren lebhaft grünen, schön ge-
lappten Blättern umrankt, in andern die nach Süden gelegenen Ab-
hänge der Berge schmückt, läßt ihre roten und weißen Trauben mit
ihren feucht angehauchten Beeren in den goldenen Strahlen der Herbst-
sonne erglänzen.
Die Wiesen kleiden sich nach der zweiten Ernte noch einmal in
ein lebhaftes Grün, welches an den dunkleren Erlen, sowie an dem Gelb
der Weiden und Pappeln einen herrlichen Hintergrund findet, während
einzelne Gruppen von grasenden Kühen und lustig sich tummelnden
Kinderscharen das herbstliche Bild beleben.
Endlich pflückt der Mensch die Früchte, welche die ersten sonnigen
Wochen des Herbstes gereift haben, von den Bäumen und beraubt diese
ihres schönsten Schmuckes, welchem schon hie und da die Blätter nach-
fallen. Mit festlichem Gepränge, unter lautem Jubel und schallendem
Gesang, schneidet der Winzer die Traube, um ihren Saft auszupressen,
damit er im dunklen Keller sich umwandle in den funkelnden Wein,
welcher das Herz des Menschen erfreut.
An neuen Blüten bringt der Herbst nur wenige. Die Riicken
sandiger Hügel und Berge überkleidet das zarte Rot des gemeinen Heide-
krauts. Stellenweise an Rainen und Wiesenrändern lugen die Blümchen
des Augentrostes hervor, während auf Feldern und Triften einzelne
Arten aus der Schar von Unkräutern noch im Blühen begriffen sind,
von denen namentlich Kreuzkraut und Miere bis in die spätesten Tage
des Jahres ausdauern.
In voller Pracht aber erscheint der herbstliche Wald. Die
Wipfel und Äste seiner Bäume sind in die glänzendsten Farben gekleidet.
Schon in den ersten Tagen des Herbstes leuchten vereinzelt die gelben
Wipfel der Birke aus dem umgebenden Grün des Forstes hervor, zu
denen sich am Saume des Waldes die minder lebhaft gefärbten Spitzen
der Äste und Zweige von Weißbuchen und weiter drüben auf Wiesen
und Feldern einzelne flammendrote Vlätterstreifen der Birnbaumkrone
gesellen. Das graue Grün der Rotbuche geht allmählich in ein feuriges
Braun und Braunrot über, ehe die salb gewordenen Blätter sich von den
Zweigen lösen, um am Boden der Verwesung anheim zu fallen. Selbst
die ernste, stolze Eiche nimmt an dem Wechsel teil und mischt sich in die
bunte Reihe, indem sie, wenn auch nur auf kurze Zeit, ihre Blätter in allen
Abstufungen vom gelblichen Grün bis zum feurigen Gelbrot erglänzen läßt.