1905 -
Straßburg
: Bull
- Hrsg.: Michel, M., Walter, W.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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öffentliche Armenpflege eingerichtet und sucht den Arbeitern bei Unfällen,
Krankheiten und im Alter zu helfen.
Der Staat fördert endlich auch die geistige und sittliche He-
bung des Volks. Er hat überall für Volksschulen gesorgt, in denen auch
der geringste im Volke diejenigen Kenntnisse erwerben kann, die er heutzu-
tage nötig hat. In den Städten bestehn höhere Lehranstalten und Fachschulen
aller Art. Straßburg hat eine blühende Hochschule, die reichen Segen ver-
breitet. Auch finden die Religionsgemeinschaften freigebige Unterstützungen
beim Staate, damit sie ihren hohen Aufgaben gerecht werden können.
So treten überall die tausendfachen Segnungen der staatlichen Ordnung
zutage. Der verständige Bürger ist erfüllt von Hochachtung vor dem Staate
und versagt ihm die Mittel nicht zur Durchführung seiner segensreichen
Zwecke. Nach dem Bad. Lesebuch.
321. Unsre Rechtspflege.
Sie geschieht durch die ordentlichen Gerichte. Diese sind, um eine
Einheitlichkeit in der Rechtsprechung zu erzielen und wichtige Prozesse mehr-
fach verhandeln zu können, in mehrere Stufen (Instanzen) gegliedert,
nämlich in Amts-, Land-, Oberlands- und Reichsgericht; letzteres hat seinen
Sitz in Leipzig und ist der oberste Gerichtshof für das ganze deutsche Reich.
Das höchste Gericht in Elsaß-Lothringen ist das Oberlandsgericht zu Colmar.
Demselben sind 6 Landgerichte untergeordnet, welche sich in Mülhausen,
Colmar, Straßburg, Zabern, Saargemünd und Metz befinden. Jeder
Kanton hat in der Regel ein Amtsgericht; in unserm Lande gibt es deren 77.
Die Tätigkeit der Gerichte zerfällt in die bürgerliche oder
Zivil- und die Straf- oder Kriminalgerichtsbarkeit. Erstere umfaßt alle
Streitigkeiten des bürgerlichen Rechts, nämlich solche, die sich auf Namen,
Abkunft, Ehe, Erbschaft, Kauf, Verkauf, Pacht- und Mietsverhältnisse,
Darlehn, Bürgschaften u. s. w. beziehen. Letztere verfolgt alle Verstöße gegen
die Ordnung, den Frieden und die Ruhe der Einwohner, gegen die Sitt-
lichkeit, die Ehre und die Sicherheit der Personen und ihrer Güter. Im
1. Falle wird das Urteil auf Grund des bürgerlichen Gesetzbuchs oder
andrer Zivilgesetze gefüllt, während im 2. Falle nach Maßgabe des Reichs-
strafgesetzbuchs oder andrer Strafgesetze entschieden wird. Klage wegen
Beleidigung ist erst zulässig, nachdem vorher der Bürgermeister als Schieds-
mann zwecks eines Sühncversuchs angerufen und dieser erfolglos versucht
worden ist. Der Sühneversuch ist jedoch nicht nötig, wenn eine der Parteien
in einer andern Gemeinde wohnt.
Je nach der Größe der Streitpunkte, bezw. der Vergehn, sind ver-
schiedene Gerichte zuständig. Bei bürgerlichen Rechtsstreitig-
keitcn über vermögensrechtliche Ansprüche, deren Gegenstand die Summe
von 300 Jc nicht übersteigt, sowie ohne Rücksicht auf den Wert des Streit-
gegendstands in Streitigkeiten zwischen Vermietern und Mietern, Reisenden