1908 -
Straßburg
: Bull
- Hrsg.: Michel, M., Walter, W.
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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Leider muß man auch annehmen, daß manche Meister im Blaumachen hie
und da selber mit schlechtem Beispiele vorangegangen sind.
Auch die Obrigkeit suchte dem Mißbrauche zu steuern, umsomehr, als
grobe Ausschreitungen und Totschläge nicht selten das Ende dieser Montags-
vergnügen waren. Sie erließ Verbote über Verbote. Welch geringen Erfolg
sie damit hatte, sieht man heute, wo der blaue Montag nicht viel weniger
Verehrer besitzt, als vor 300 Jahren. Manche Handwerker, statt sich der
Faulenzerei und Liederlichkeit zu schämen, betrachten im Gegenteil den blauen
Montag als einen schönen Überrest aus der sog. „guten, alten Zeit."
Diese schöne Erinnerung ist sehr wertvoll; denn sie stellt in
Deutschland einen Arbeitsverlust von wöchentlich mehr als
einer Million Mark dar!
Es wären also 50-60 Millionen Mark im Jahre mehr verdient
worden, wenn so und so viele Handwerker, statt im Bette den Katzenjammer
vom Tage vorher zu Pflegen und dann im Wirtshause von neuem wieder
zu trinken, in ihrer Werkstätte fleißig und ordentlich gearbeitet hätten.
Zu diesem materiellen Schaden kommt noch der moralische, — und der
ist größer. Die Bummler behaupten zwar, daß es nicht die schlechtesten
Arbeiter sind, welche „blau" machen, und daß sie durch erhöhten Fleiß am
Ende der Woche das Versäumte schon wieder einbrächten. Wohl mag
sein, daß sich unter dem Haufen der Montagsbrüder auch geschickte Arbeiter
befinden, und sicher ist, daß mancher, der am Montag spazieren ging oder
im Wirtshaus beim „66" einige Maß Bier „herauskartclte," am Freitag
und Samstag bis tief in die Nacht hinein sticheln und klopfen muß, um den
neuen Rock oder die neuen Stiefel am Sonntaginorgen richtig abliefern zu
können. Aber kein Mensch wird behaupten, daß dies der Weg zu
Wohlstand und Zufriedenheit sei.
Wer nicht Ordnung gelernt hat, wird es nie weit bringen. Wer sein
Geld an zwei Tagen verschlemmt und fünf Tage mit hungrigem Magen
und trockener Zunge dafür büßen muß, wird leicht mit seinem Los unzu-
frieden. Er wird andre, die besser rechnen und einteilen können, beneiden
und die Ursache davon, daß ihm nichts glücken und gedeihen will, überall
suchen, nur nicht bei sich selber. Und dann leben wir nicht mehr in der
„guten, alten Zeit," wo zuletzt ein blauer Montag schier zum Handwcrks-
schlcndrian gehörte. Jetzt heißt es: „Zeit ist Geld!" Wer diesen Ruf nicht
versteht oder nicht verstehen will, fühlt sich sein Lebtag von andern überholt,
verzagt an sich selber und vermehrt den Haufen derer, die ihr Heil von
außen erwarten, statt an die eigne Kraft zu glauben.
Nachschrift. Wohl feiern manche Handwerker am Montag; aber
nicht alle „Montagsbrüder" sind Handwerker. Auch für diese gilt obige Lektion!