Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 1 - S. 5

1918 - Essen : Bädeker
Ein Brief Schillers an seine Schwester. — O lieb', so lang' du lieben kannst. 5 5. Ein Brief Schillers an seine Schwester. Weimar, im Mai 1802. Liebe Schwester! Ob ich gleich von der Luise keine weitere Nachricht über unsere liebe Mutter erhalten, so kann ich doch nach dem letzten Briefe keine andere erwarten, als die ich längst gefürchtet. Ja, gewiß ist sie längst nicht mehr, die teure Mutter! Sie hat ausgekämpft, und wir müssen es ihr sogar wünschen. 0 liebe Schwestern, so sind uns nun beide liebende Eltern entschlafen, und dieses älteste Band, das uns ans Leben fesselte, ist zerrissen! Es macht mich sein traurig, und ich fühle mich in der Tat verödet, ob ich gleich mich von geliebten und liebenden Wesen um- geben sehe und Euch, Ihr guten Schicestem, noch habe, zu denen ich in Kummer und Freude fliehen kann. 0 laßt uns, da wir drei nun allein noch von dem väterlichen Hause übrig sind, uns desto näher aneinander schließen! Vergiß nie, daß Du einen liebenden Bruder hast; ich er- innere mich lebhaft an die Tage unserer Jugend, wo wir uns noch alles waren. Das Leben hat unsere Schicksale getrennt; aber die Anhänglich- keit, das Vertrauen muß unveränderlich bleiben. Ich kann heute nichts weiter schreiben. Laß bald einige Worte von Dir hören! Ewig Bein treuer Bruder Schiller. 6. O lieb', so lang' du lieben kannst. O lieb', so lang' du lieben kannst! O lieb', so lang' du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst! Und sorge, daß dein Herze glüht Und Liebe hegt und Liebe trägt, So lang ihm noch ein ander Herz In Liebe warm entgegenschlägt. Und wer dir seine Brust erschließt, O tu' ihm, was du kannst, zu lieb'! Und mach' ihm jede Stunde froh, Und mach' ihm keine Stunde trüb'! Und hüte deine Zunge wohl, Bald ist ein böses Wort gesagt! O Gott, es war nicht bös gemeint, — Der andre aber geht und klagt. O lieb', so lang' du lieben kannst! O lieb' so lang' du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst. Dann kniest du nieder an der Gruft Und birgst die Augen, trüb und naß, Sie seh'n den andern nimmermehr — Ins lange, feuchte Kirchhofsgras. Und sprichst: „O schau' auf mich herab, Der hier an deinem Grabe weint! Vergib', daß ich gekränkt dich hab'! O Gott, es war nicht bös gemeint!" Er aber sieht und hört dich nicht, Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst; Der Mund, der oft dich küßte, spricht Nie wieder: „Ich vergab dir längst!" Freiligrath.
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer