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1. Teil 1 - S. 17

1918 - Essen : Bädeker
Eine Träne. 1? deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern. Was die Neugier nicht tut! So rennt und läuft nun ein jeder, um den traurigen Zug der armen Vertriebenen zu sehen. Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer ein Stündchen, und da läuft man hinab im heißen Staube des Mittags. Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend guter, fliehender Menschen, die nun, mit geretteter Habe leider das überrheinische Land, das schöne, verlassend, zu uns herüberkommen und durch den glücklichen Winkel dieses fruchtbaren Tals und seiner Krümmungen wandern. Trefflich hast du gehandelt, o Frau, daß du milde den Sohn fort- schicktest mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken, um es den Armen zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen. Was der Junge doch fährt! Und wie er bändigt die Hengste! Sehr gut nimmt das Kütschchen sich aus, das neue; beqnemlich säßen viere darin und auf dem Bocke der Kutscher. Diesmal fuhr er allein; wie rollt es leicht um die Ecke!" So sprach, unter dem Tore des Hauses sitzend am Markte, wohlbehaglich zur Frau der Wirt zum goldnen Löwen. Und es versetzte darauf die kluge, verständige Hausfrau: „Vater, nicht gerne verschenk' ich die abgetragene Leinwand; denn sie ist zu manchem Gebrauch und für Geld nicht zu haben, wenn man ihrer bedarf. Doch heute gab ich so gerne manches bessere Stück an Überzügen und Hemden; denn ich hörte von Kindern und Alten, die nackend dahergehn. Wirst du mir aber verzeihn? denn auch dein Schrank ist geplündert, und besonders den Schlafrock mit indianischen Blumen, von dem feinsten Kattun, mit feinem Flanelle gefüttert, gab ich hin; er ist dünn und alt und-ganz aus der Mode." Aber es lächelte drauf der treffliche Hauswirt und sagte: „Ungern vermiß' ich ihn doch, den alten kattunenen Schlafrvck, echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder. Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll immer gehn im Surtout^) und in der Pekesche^) sich zeigen, immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mütze." „Siehe!" versetzte die Frau, „dort kommen schon einige wieder, die den Zug mit gesehn; er muß doch wohl schon vorbei sein. Seht, wie allen die Schuhe so staubig sind! wie die Gesichter glühen! und jeglicher führt das Schnupftuch und wischt sich den Schweiß ab- Möcht' ich doch auch in der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht laufen und leiden! Fürwahr, ich habe genug am Erzählten." Goethe (Hermann u. Dorothea). 18. Eine Träne. Eine Geschichte aus dem Leben. Ein armer, aber geschickter Zchreinermeister erhielt durch Empfehlung von einem Uaufmann zur Uussteuer seiner Tochter für mehrere tausend i) spr. ßürtuh — Überrock. 2) polnisches Überkleid mit Schnüren. Schürmann u. Wind Möller, Lehr- u. Leseb. s. Fortbildungs- u. Gewerbesch. I. 2
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