1918 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 34
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Eine Träne.
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will Er denn?" fragte der Herr den Sprachlosen und erkannte ihn nicht
wieder, „verzechen Sie, mein Herr, ich war, ich bin, ich komme — der
Schreinermeister, der die große Ehre hatte, für Sie zu arbeiten." — „So,
so, und? Er will Vorfragen? Ich habe jetzt nichts zu bestellen. Erbraucht
sich auch nicht zu bemühen,- ich werde schicken, wenn ^ich Seiner benötige,
vielleicht bald." Damit wandte sich der Herr um, das Zimmer zu verlassen.
„Rch," fing der zerschmetterte Handwerksmann an, „der Herr möge nicht
böse werden, aber ich möchte Sie wohl bitten um den Betrag des Ge-
lieferten ; ich habe kein vermögen und habe das Geld zum Rnkaufe des
Holzes für die schönen neuen Möbel leihen müssen, und —." verdrießlich
und mürrisch versetzte der Kaufmann: „Ich bezahle nur halbjährlich; auf
andere Termine können wir uns nicht einlassen, das macht uns zu viel
Umstände. Doch das ist einmal gewesen. Er muß keine Rrbeit an-
nehmen, wenn Er nicht so lange warten kann auf die Bezahlung"; und
so winkte er einem zunächst sitzenden jungen Manne, demselben aufgebend,
dem Meister die Summe auszuzahlen.
Stumm nahm der Meister das Geld in Empfang, und an das Pult
des Kaufmanns gehend, um zu unterzeichnen, floß, erpreßt von dem Ge-
danken: „Du kannst in Zukunft eine solche Hvbeit doch nicht wieder an-
nehmen, denn du hast kein Geld, und deine Rrmut verschließt dir jede
Hoffnung dazu", eine Träne über seine Wange und fiel auf die (Quittung.
Der Kaufmann bemerkte sie. Stumm und niedergebeugt verneigte sich der
Meister und ging.
Rls er die Hälfte des Zimmers durchschritten hatte, rief ihn der
Kaufmann zurück, „hört einmal, Meister! von den Stühlen kann Er
mir noch ein Dutzend liefern, und ich habe auch in der nächsten Woche
mehrerer. Doch, damit Er mir in Zukunft nicht alle Augenblicke be-
schwerlich wird, und weil Er mir doch kein halbes Jahr Kredit geben
kann, so will ich Ihm Vorschuß geben. Zahlen Sie dem Manne noch
500 Mark!" sprach er zum Kassierer und blickte aufs Papier.
Sprachlos stand der Meister da, im Innersten erschüttert; doch jetzt
ging er rasch auf den Kaufmann zu, ergriff dessen Hand und drückte sie
herzlich an seine Sippen. „Dank," stammelte er, „tausend Dank, guter
Herr! Der liebe Gott wird es Ihnen lohnen."
„Lass' Er das, lieber Freund! Wenn Er ein ehrlicher Mann ist, so
braucht Er des Dankes nicht. Doch hier kein Rufsehen, solche Scenen
gehören nicht aufs Kontor, hier wohnt keine Herzlichkeit. Geh' Er mit
Gott! Ich komme bei Ihm vor und will einmal selbst nach Seiner Wirt-
schaft sehen." Froh und überglücklich kehrte der Meister zurück. Fleißig
arbeitete er, und durch des angesehenen Kunden Hilfe war er bald ein
gemachter Mann.
Der reiche Kaufmann aber fühlte an jenem Morgen eine so sonder-
bare Regung in seinem Herzen, daß dieselbe seit dieser Zeit noch manche
Träne hervorlockte. Doch war es immer — eine Träne der Dankbarkeit.
Gh, wenn doch manche gutherzige Reiche etwas von der Not des
armen Handwerkers, der für sie arbeitet, wüßten! Sie würden dann
handeln wie dieser edle Kaufmann. Rh-m. »oirwatter.