1918 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 34
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Wirtschaftliche Bedeutung der Auswanderung.
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kann nach genauen Ermittelungen selbst die Auswanderung bei ihrem
heutigen Umfange nur 1/io der Volkszunahme im Deutschen Reiche ab-
führen. Sollte also über kurz oder lang Übervölkerung zu fürchten sein,
¿0 wäre dieselbe durch die jetzige Auswanderung nicht abwendbar.
4. Da durch Staatsgesetz die Auswandererfreiheit gewährleistet ist,
frühere Verbote mancher Regierungen sich in ihrer Wirkung auch nicht
bewährt haben, so ist man darauf bedacht, die Schäden, die dem Vater-
lande durch die Auswanderung erwachsen, auf andere Weise gut zu
machen. Gesetzlich beschränkt ist die Auswanderung nur hinsichtlich
der Wehrpflicht, wodurch wehrpflichtigen Personen die Auswanderung
nicht gestattet oder erschwert wird. Viele erhalten auch nur die Er-
laubnis, sich bedingungsweise im Auslande aufzuhalten, bleiben deutsche
Untertanen und müssen im Falle eines Krieges auf kaiserliche Auffor-
derung zurückkehren. Durch diese Gesetze wird das Land vor Schwächung
der Wehrkraft geschützt.
Sodann ist man bemüht, diejenigen örtlichen Schäden zu be-
seitigen, welche eine Massenauswanderung verursachen. So werden bei-
spielsweise im deutschen Osten, namentlich in der Provinz Posen, große
Güter seitens der Behörde (Ansiedelungskommission) aufgekauft und zu
Bauerngrundstücken zerstückelt. Den Einwanderern aus dem Westen
gewährt man bei der Ansiedelung mancherlei Vorteile, so daß sich neuer-
dings immer mehr Schwaben und Westdeutsche in Posen ansiedeln. Zu-
gleich — eigentlich in erster Linie — wird hierdurch die Erstarkung
des Deutschtums im deutschen Osten erstrebt.
5. Endlich ist man bestrebt, die wegziehenden Landsleute in solchen
überseeischen Gebieten zu vereinigen, wo sie deutsche Sprache, Sitten
und Gebräuche bewahren, ihre Nachkommen in deutscher Weise erziehen
und mit dem Mutterlande in geistigem und wirtschaftlichem Zusammen-
hange bleiben. Freilich hat diese Arbeit ihre großen Schwierigkeiten,
da Deutschland keine klimatisch günstigen Kolonien besitzt, also die
Ansiedelungen in fremdem Machtgebiet erfolgen müßten. Seit dem
eifrigen Vorgehen des Zentralvereins für Handelsgeographie in Berlin
betrachtet man Südamerika in seinen südlicheren Teilen als das für
obige Zwecke am günstigsten gelegene Land, wenngleich noch immer
recht ungünstige Berichte über die Behandlung von deutschen Auswan-
derern aus jenen Ländern nach Deutschland dringen. Doch ist dort
schon insofern ein kleiner Anfang gemacht, als sich in Südbrasilien be-
reits ein fester Stamm deutscher Kolonisten befindet, welcher gut vor-
wärts kommt. Unter andern Vereinen hat sich auch die deutsche
Kolonialgesellschaft der Sache angenommen und in Deutsch-Südwestafrika
erfolgreiche Versuche zu verzeichnen. Hervorzuheben ist ferner, daß
die Kolonialgesellschaft in Berlin ein Auskunftsbureau errichtet hat,
welches allen Auswanderungslustigen unentgeltlich gute und zuver-
lässige Auskunft über die überseeischen Verhältnisse erteilt, um den
Auswanderer zu belehren und vor Schaden zu bewahren. — Hoffen wir,
daß es gelingt, auch die deutsche Auswanderung so zu gestalten, daß
sie unserem Vaterlande zum Segen und Ruhme gereiche.
Tromnau, Kulturgeographie des Deutschen Reiches.
Aus Dr. Wohlrabes Lesebuch.