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1. Teil 1 - S. 324

1918 - Essen : Bädeker
324 Das Reisen sonst und jetzt. Erde durch. Es ist schrecklich!“ „Ja“, sagte der Kollege, „das geht wider alle Ordnung. Die Fuhrleute werden alle aufsässig. Die Pferde- zucht wird ruiniert. Das ist alles Dampf, nichts als Dampf“. „Meine- Herren“, erlaubte sich ein Postrat zu bemerken, „das'kann keinen Be- stand haben. Ich wohne in der Leipziger Straße und sehe, wie morgens bei schönem Wetter und hauptsächlich in der Rosenzeit höchstens sechs, bis acht Fuhrwerke hinaus nach Potsdam und der Pfaueninsel fahren. Nun aber bauen sie Wagen, wo dreißig Personen Platz haben, und sie wollen an sechsmal des Tags damit hinausfahren. Was sollen wir Berliner denn alle Tage sechsmal in Potsdam machen?“ Die Frage war unlösbar und noch unlösbarer die Frage, wie es bei solcher Reisesucht mit den Pässen werden solle. — Aber der Zeit- geist, der böse Zeitgeist hatte in Berlin die Menschheit erfaßt, und da war kein Halt mehr. Im Herbst 1838 war die Hälfte der Eisenbahn bis Zehlendorf fertig. Eine Probefahrt fand statt, und nicht bloß der Polizeipräsident, sondern auch zwei Minister ließen sich herab, der Einladung des Direk- toriums zu folgen und die Reise bis Zehlendorf mitzumachen. Auch die Presse wurde mit einer Einladung beehrt, damit die öffentliche Meinung für das große Unternehmen gewonnen werde. Sie fuhr mit und fällte ihr Urteil in einem ausführlichen Berichte in der Vossischen Zeitung, die dazumal den Geist aller guten Berliner beherrschte und lenkte. Uber die erschreckende Geschwindigkeit dieses Probezuges — er fuhr in kaum einer Stunde richtig bis Zehlendorf, während der heutige Schnellzug dazu gerade 16 Minuten gebraucht — wußte der Bericht die öffentliche Meinung zu beruhigen. „Im Wagen merke man die rasende Geschwindigkeit gar nicht!“ „Selbst den Tunnel bei Schöne- berg passierte der Zug, ohne daß die eingeladenen Damen aufgeschrieen hätten. Nur wenn man hinausblickt, wird man ein wenig schwindelig; aber die Berliner sind nicht so nervenschwach und werden sich auch daran mit der Zeit gewöhnen.“ Diese Voraussetzung bewährte sich vollkommen. Die Bahn wurde fertig und die nervenstarken Berliner gewöhnten sich dermaßen an die Geschwindigkeit, daß man mit ihnen die ganze Fahrt bis Potsdam in anderthalb Stunden machen konnte. Als am Ende gar noch die Eisenbahn die Post auf den Rücken nahm und mit ihr in die Welt hinein jagte, vertrauten sich selbst Posträte ihr an und fanden, daß die Welt nicht ihrem Untergange des- halb zueile. Von nun ab wühlte der böse Zeitgeist gar schrecklich in der un- ruhigen Menschheit. Man begnügte sich nicht mehr, mit all den Eisen- bahnen nach allen Seiten hin gewaltige Reisen in einem Tage abzu- machen, auf welchen man sonst Wochen zubrachte. Nein, man faßte den Entschluß, auch nachts die Reisenden zu befördern. Mitten in der Nacht? Gar durch die ganze Nacht?! Es war ein erschreckender Gedanke! Wer wird denn nachts reisen! Wer anders will denn des Nachts reisen als Diebe und Mörder? Wird es selbst der wachsamsten Polizei möglich sein, hierüber eine Kontrolle auszuüben?
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