1873 -
Hildburghausen
: Gadow
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 10
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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wüthigen Kämpfer auf der Erde. Es geschah dies ohne
alle Anstrengung und so schnell, daß man kaum den Erfolg
davon begreifen konnte. Wir feuerten auf ihn, und eine
Kugel traf ihn unter den kurzen Rippen, so daß das Blut
hervorquoll. Er blieb in derselben ruhigen Stellung und
ging hierauf weiter."
Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts war in der
Menagerie zu Kassel unter andern ein Löwe, der wenigstens
gegen seine Wärterin und Pflegerin in hohem Grade zahm
war. Dies ging so weit, daß die verwegene Wärterin,
um die Bewunderung der Zuschauer auf sich zu ziehen, es
nicht selten wagte, nicht nur ihre Hand, sondern selbst ihren
Kopf in den ungeheuern Rachen dieses Thieres zu stecken.
Oft war dies vollkommen glücklich abgelaufen, und doch
ging endlich das alte und wahre Sprichwort in Erfüllung:
„Wer sich ohne Noth in Gefahr begibt, kommt darin um."
Einst, als die Wärterin seinem Rachen ihren Kopf wiederum
zur Hälfte anvertraut hatte, schnappte der Löwe zu und
riß ihr das Genick aus, so daß sie auf der Stelle ihren
Geist aufgab. Ohne Zweifel geschah dieser Mord von
Seiten des Löwen unwillkürlich, indem er unglücklicher-
weise gerade in dem für die Wärterin so entscheidenden
Augenblick, vielleicht durch deren Kopfhaare gekitzelt, zu
nießen veranlaßt ward. Wenigstens scheint der Erfolg diese
Voraussetzung vollkommen zu rechtfertigen; denn kaum hatte
der Löwe bemerkt, daß er den Tod seiner Pflegerin ver-
ursacht hatte, als das gutmüthige, dankbare Thier äußerst
traurig wurde, sich neben den Leichnam hinlegte, ohne sich
denselben nehmen lassen zu wollen, alles ihm dargebotene
Futter verschmähte und einige Tage nach diesem Unglücke
vor Gram starb.
Am (£nbe des vorigen Jahrhunderts brachte der Bür-
ger Felix zwei Löwen, ein Männchen und ein Weibchen,
in die Nationalmenagerie zu Paris. Gegen den Ansang
des Juli wurde Felix krank, und da er die Thiere nicht
ferner warten konnte, so übernahm ein Anderer dies Ge-
schäft. Das Männchen war von dem Augenblicke an
traurig, blieb einsam in einem Winkel seines Behältnisses
sitzen und wollte durchaus nichts von dem Fremdlinge
annehmen. Die Gegenwart desselben war ihm sogar
verhaßt, und er drohte ihm oft durch sein Brüllen. Ja
selbst die Gesellschaft des Weibchens schien ihm zu miß-
fallen; er erwies ihm gar keine Aufmerksamkeit. Man
glaubte, das Thier wäre krank; Niemand aber wagte sich