1873 -
Hildburghausen
: Gadow
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 10
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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nicht mehr zu unterstützen vermochte. Die ganze
Masse fiel im Krater zusammen.
Aber diese grossartige Erscheinung beendigte den
finstern Aschenregen nicht. Wennauch in Neapel und
Portici und der nahen Gegend umher weniger Asche hin-
abfiel, als an den vorigen Tagen, und das matte, röthliche
Bild der Sonne mehrere Stunden lang sich durch den
Staub in der Luft zeigte, so litten dagegen doppelt die
Orte ostwärts des Berges. Ein heftiger Westwind führte
die aus dem Krater sich heraufhebende Masse von der
Meerseite weg, und mit doppelter Wuth stürzte sie auf
Somma, Ottajauo, Nola, Caserta herab. Bis in das Apen-
ninnengebirge hinein war tiefe Nacht. Der ganze Vesuv
schien sich in Staub herabstürzen zu wollen. Wolkeu-
brüche vermischten sich in der Luft mit der Asche und die
Masse fiel wie ein zäher Teig über die Gegend. Fest um-
gab er die zartesten Zweige der Pflanzen und Bäume,
und alle Pflanzungen dieses fruchtbaren Strichs erlagen
unter der unerträglichen Last. Viele Dächer in den Oertern
stürzten zusammen und die Einwohner sahen sich genö-
thigt, ihr Leben durch schnelle Flucht in das Gebirge zu
retten.—Auf diese Art fiel einst Herculanum und Pompeji.
End wirklich hatte man Ursache, ein nöch grausame-
res Schicksal zu fürchten. Denn während der Schlamm
und die Asche den 18ten und 19ten fortwährend in
einer für die Helle des Tages undurchdringlichen Dichte
sich herabsenkte, stürzten reissende Wasser ströme vom
jähen Abhang des Berges herab. Mit grenzenloser Gewalt
rissen sie Berge von Steinen und Bäumen vor sich hin und
bedeckten mit grossen Felsenmassen die Ebene. Nur allein
in der Nacht vom 20sten Junius wälzten sich 5 solcher
Ströme vom Berge, und dreimal im Laufe des Tages er-
neuerte sich diese verwüstende Erscheinung, und das letzte
Mal mit doppelter Stärke und Kraft. Die ganze, den Vesuv
umgebende Landschaft ward durch diese Regen verheert;
jede kleine Wolke schien mit Macht gegen die Spitze des
Berges gezogen, und kaum hatte sie den Gipfel umgeben,
als auch schon die Wasser herunterstürzten, Wälder,
Strassen, Brücken zerrissen und Häuser und Felder zer-
störten. Von allen Seiten lebten die unglücklichen Men-
schen in beständiger Todesangst und waren fortdauernd
genöthigt, sich zur schnellen Flucht zu bereiten. Bosko,
Somma, Ottajano, Torre del Anunziata verloren auf diese
Art zum Theil für nicht zu berechnende Zeiten die Frucht