1914 -
Karlsruhe i.B.
: Braun
- Autor: Fritz, Trude, Ischler, Otto, Eichrodt, Hellmut, Rebmann, E., Ruska, J., Eichrodt, O., Fritz, Otto, Skarphagen, Hans, Ruska, J., Walter, M., Lauer, K.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfs- und Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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meinsam gesühnt; geschah ein Mord, so hatten die Verwandten des Getöteten
die Pflicht der Blutrache. Doch konnte jeder Frevel durch Wergeld* gebüßt
werden, wobei der Übeltäter dem Geschädigten eine Anzahl Pferde oder ein son-
stiges Besitztum als Sühne übergab. Landesverräter wurden ausgestoßen, ins
Elend, d. h. in die Fremde gejagt, oder im Sumpf ertränkt.
Jeden Monat einmal tagte bei Voll- oder Neumond die Volksver-
sammlung, an welcher alle wehrhaften und freien Männer teilnahmen; man
nannte sie das Thing oder Ding. Die Versammlungsstätte hieß die Mahlstätte
(Ortsnamen Mahlberg). Hier wurde Gericht gehalten und über Krieg und
Frieden beraten. Die vorgetragene Meinung wurde mit Waffengeklirr ge-
billigt oder durch Gemurr verworfen. Geschriebene Gesetze gab es nicht; Recht-
schaffenheit war unseren Ahnen von Natur aus eigen.
Volksstämme und Herzoge. In alter Zeit schieden sich die Germanen in
zahlreiche Stämme; die wichtigsten waren: Am Mittelrhein die Chatten oder
Hessen; am Niederrhein die Franken; an der Nordsee die Friesen; im Gebiet
der Weser und Elbe die Cherusker und Sachsen. Südlich und östlich von diesen
wohnten ohne feste Wohnsitze die Sueben, zu denen auch die Alemannen gehörten.
— Eine Obrigkeit, wie wir sie heute haben, kannten die alten Deutschen nicht.
Zur Kriegs- und Wanderzeit wählten sie einen Mann aus vornehmem Geschlecht
als Anführer; diesen nannten sie Fürst oder Herzog. Hatte er als sieg-
reicher Feldherr seinem Stamme Ruhm erworben, so genoß er dann auch im
Frieden großes Ansehen und hatte den Vorsitz in der Volksversammlung. Mäch-
tige Stammeshäupter und Heerführer nannte man Könige.
Verehrung der Götter. Als obersten Himmelsherrn ehrten die alten Deut-
schen Wodan oder Odin. Im Sturmwind zog dieser über das Land und
teilte Glück oder Not unter die Völker. Ziu galt als Schlachtenlenker, Donar
oller Thor, der Donnerer, schirmte Recht und Frieden. Auch hohe Göttinnen
walteten iiber der Menschen Geschick: Frau Hulda (Frau Holle) und Wodans
Gemahlin F r e y a zogen mit dem sanften Maiwind Segen spendend durch Dorf
und Flur. Baldur schenkte Licht und Weisheit, Loki dagegen suchte die Herzen
der Menschen zum Bösen zu verleiten. Man diente den guten Göttern durch
das Schlachten von Opfertieren auf Bergeshöhen oder in heiligen Hainen.
T t Kriegsgotte aber opferte man die gefangenen Feinde**. Als Wohnung der
Görmr galt der Himmelsaal, Walhalla. Dorthin geleiteten die Botinnen Wo-
dans, die Walküren, die im Kamps gefallenen Helden. Feige und Un-
tüchtige aber fuhren rühmlos hinab zur Unterwelt. — Die Erde selber war nach
dem Glauben unserer Ahnen von allerlei guten und bösen Geistern bewohnt.
Ouellnixen schwebten im Mondschein durch Busch und Hain und freund-
liche Erd männchen taten denen Gutes, die sie liebten und ehrten. Drei
wunderkrästige Schicksalssrauen, Nornen, spannen am heiligen Born
jedem Menschen den Faden des Lebens und spendeten ihm Liebe oder Leid; von
diesen ist heute noch in manchen Märchen und Liedern die Rede. Unholde
Zwerge mußte man beschwören, um die Schätze des Berges zu gewinnen,
und giftige Drachen hausten in Klüften und Höhlen. Grimmige Riesen
* Wergeld bedeutet Manngeld.
** Die Namen einiger Wochentage erinnern an die germanischen Gottheiten, so
Donnerstag (Donarstag), Dienstag (alemannisch Zieschtig — Ziustag).