1873 -
Berlin
: Stubenrauch
- Autor: Wetzel, Friedrich, Richter, Carl, Menges, Heinrich, Menzel, J.
- Auflagennummer (WdK): 32
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
469
rische Tiefland, allein schon so groß als ganz Europa, ist nur in seinem
südlichen Theile kulturfähig; der nördliche leidet unter der strengen
Kälte des langen Winters? Hinwieder nimmt das Wunderland Indien
durch die Pracht und Ueppigkeit seiner Natur die Sinne gefangn und
versenkt den Geist in ein träumerisches Stillleben, während die reiche
Inselwelt von Ceylon, Java, Sumatra, Borneo und den Gewürzin-
seln unter der Glut der Sonne seufzt, die alle Thatkraft darnieder
hält. Selbst die gemäßigt warmen Länder, wie Kleinasten, Persien,
das eigentliche China und Japan, sind trotz der günstigeren Natur
nicht zu geistiger Entwickelung und bürgerlicher Freiheit fortgeschritten.
Die Religion Muhameds beseelte zwar eine Zeit lang die Volks-
ftämme Westafiens mit neuer Thatkraft, konnte aber den Funken wahrer
Geistesbildung nicht entzünden. Die den Islam bekennenden Völker
Asiens sind in Ueppigkeit und Schlaffheit versunken. Das türkische
Reich in Asien ist so morsch wie das m Europa. China ist ein mit
Menschen überfülltes Haus, das einzustürzen droht. Kräftiger noch
und bildsamer steht das Inselreich Japan da, das sich jetzt nicht mehr
streng gegen fremde Völker abschließt; denn vor einigen Jahren sind
die Japanesen mit mehreren europäischen Großmächten in Handelsver-
bindung getreten.
Asien bietet in seinen natürlichen Verhältnissen von allen Erd-
theilen die größte Mannigfaltigkeit dar. Ebenso verschieden sind die
Völker dieses Erdtheils hinsichtlich ihrer Sitten, ihrer Körperbsschaf-
fenheit, ihrer Sprache und ihrer geistigen Ausbildung. Man ver-
gleiche nur den im hohen Norden wohnenden Polarmenschen, z. B.
den Samojeden, der nicht viel über vier Fuß hoch ist, mil dem
schwarzen, wollbaarigen Insulaner auf Borneo und Sumatra. Dann
die zum kaukasischen Stamm gehörigen Afghanen und Perser mit ihrer
regelmäßigen und schönen Gesichtsbildung: — welch ein Unterschied
von dem hellbraunen Hinterindier mit plattgedrückter Nase und großem
hervorstehenden Mund; — und wiederum von dem Chinesen mit
plattgedrücktem Gesicht, schiefliegenden enggeschlitzten Augen und her-
vorstehenden Backenknochen! — Wie die Menschenwelt, zeigt auch die
Thier- und Pflanzenwelt die mannigfaltigsten Formen. Im hohen
Norden, bei fast ewigem Winter, ist kaum noch ein Moos oder eine
Flechte, weniger noch ein Strauch; nur Seehunde und Eisbären be-
wohnen die eisige Küste. Weiter im Innern leben Pelzthiere, welche
den Menschen zur Jagd in die unwirthlichen Gegenden locken und
ihm mir ihrem Fell Schutz vor dem Winterfrost gewähren. In Mit-
telasien wechseln Salzsteppen und Sandwüsten mit den fruchtbarsten
Grasebenen. In den schönen Hochthälern des Himalahagebirges
wachsen unsere Getreidearten wild. Steigt man dann zu oen südli-
chen Halbinseln und Inseln hinab, so zeigt sich die üppigste Fülle der
gewürzreichsten Früchte. Zn den dichtverschlungenen Wäldern brechen
Etephantenheerden sich Bahn, und im sumpfigen Rohr lauert der
Tiger aus seine Beute. Der heiße Gürtel Asiens hat uns den Kaffee-
baum und das Zuckerrohr geschenkt, welche dann wie die Völker nach
Westen gewanderl sind. Die Glut der Sonne veredelt die Pflanzen-
safte zu Gewürzen, Balsam und Heilmitteln aller Art. Kein Land
bietet eine größere Auswahl von Fruchtbäumen. In Hindostan ge-