1873 -
Berlin
: Stubenrauch
- Autor: Wetzel, Friedrich, Richter, Carl, Menges, Heinrich, Menzel, J.
- Auflagennummer (WdK): 32
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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Das von der Mauer im N. und N.w. umspannte Land ist eins
der reichsten der Erde, ein Land, das keines andern bedarf und in
seinem Produktenreichthum ganz für sich bestehen kann. Das Marsch-
land an den beiden Strömen «st die fruchtbarste Kornkammer der
Erde, und der Landbau, in den Augen der Chinesen das vorzüglichste
und ehrenvollste Gewerbe, wird mit der größten Sorgfalt betrieben.
Die künstlichen, durch tausend Gräben und Nöhrenlcitungen den
Höhen wie den Ebenen zu Gute kommenden Bewässerungs- und Ent-
wäfferungskanäle haben viele Gegenden von China in einen Garten
verwandelt, der niemals brach liegt und jährlich drei- bis viermalige
Frucht bringt, aber freilich fast baumlos ist, da alles Land zum Acker-
bau benutzt wird. Die Künste des Drainirens und Bewässerns, wie
sie in China betrieben werden, die Art, wie die Chinesen den Dünger
aufbewahren, zubereiten und anwenden, wie sie die Samen befruchten,
mit einem Worte: alle Einzelheiten des chinesischen Ackerbaues verdienen
die höchste Aufmerksamkeit. Weizen, Gerste, Tabak, Hülsenfrüchte sind
die vorzüglichsten Kulturpflanzen der nördlichen Provinzen, welche
zwar heiße Sommer, aber auch kalte Winter haben. Baumwolle,
Zuckerrohr, Pfeffer, Gewürze, Südfrüchte und vor Allem Reis werden
rn den mittleren und südlichen Provinzen angebaut, wo die Sommer-
wärme sehr hoch steigt, und der Winter nur eine Regenzeit ist. Reis
und wieder Reis ist das Hauptbedürfniß jedes Chinesen. Die Armee,
alle Beamten der Negierung vom ersten Mandarin bis zum geringsten
Diener erhalten die Hälfte ihrer Besoldung in Reis; aller Tribut an
den Kaiser besteht in Reis. Das Delta und der ozeanische Strich, wo
der Reis am besten gedeiht, ist am Meisten bevölkert, daher der Brenn-
vunkt alles Handels und der Mittelpunkt des Reichs. Die Zucht der
Seidenwürmer hat in China ihre Heimath. Tie Strecke zwischen dem
24. und 35. g Rb. ist tue Heimath des Theestrauches. Die westlichen
Gebirge sind auf ihren Abhängen bis jetzt der einzige Fundort des
für die Heilkunde so wichtigen Rhabarbers.
Neun Zehntheile der Bevölkerung des gesummten Reichs kommen
auf das eigentliche China, sind aber auf verschiedenen Gegenden seh-r
verschieden vertheilt. Am stärksten und wahrhaft übermäßig ist das
Land in der fetten Mündungsgegend der Ströme bevölkert; dort ist
China mehr als 100 Meilen weit wie mit einer Stadt bedeckt. Ja ein
Theil der Bevölkerung wohnt gänzlich auf dem Wasser. Die Slädte
bestehen zum Theil aus schwimmenden Häusern und haben sogar
schwimmende Gürten. Wie Wasscrnomaden ziehen auf Flüssen und
Kanälen ganze Fischervölker in Fahrzeugen umher, treiben Enten- und
Schweinezucht und bilden schwimmende Dorfschaften. Zehn Städte
haben über 1 Million, 50 über ^ Million Einwohner. Für solche
Volksmengen trägt selbst der fetteste und sorgsamst angebaute Boden
oft nicht genug, und die Armen nehmen deshalb nicht selten ohne Ekel
zu dem Fleische von Hunden und Katzen, Ratten und Mäusen, Affen
und Schlangen ihre Zuflucht. — Zn ihrem Aeußern sind die Städte
einander sehr ähnlich. Gewöhnlich sind sie viereckig, von hohen Mauern,
zuweilen auch von trockenen oder naffen Gräben umgeben. Das Innere
zeichnet sich durch runde oder eckige, acht bis neun Stockwerk hohe
Thürme, durch Triumpfbögen und durch schöne Tempel, die den Hei-