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1. Deutsches Lesebuch für Mittel- und Oberklassen der Volksschulen - S. 59

1914 - Nürnberg : Korn
59 Sonnten, war eine Kufe mit eingestampften Rüben und weißem Kohl und auch diese stritten schon mit der Verwesung, weil sie nur wenig gesalzen waren. Die Geißen erhielten ihren Anteil roh, wie er aus der Kufe kam; die Portionen für sich und ihren Knaben kochte die Witwe und salzte sie oft mit ihren bittern Kummertränen. Denn es war damals unter ihrem Dache wie in der Hütte der Witwe von Sarepta, als sie dem Propheten antwor- tete: „So wahr der Herr, dein Gott, lebet, ich habe nichts Gebackenes ohne eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Kruge. Und siehe, ich habe Holz aufgelesen und gehe hinein und will mir und meinem Sohne zurichten, daß wir essen und sterben." Der Knabe liebte seine Mutter und bewies seine Liebe meistens dadurch, daß er nie über seinen Hunger klagte, sondern geduldig von einer Mahlzeit auf die andere wartete und überhaupt alles vermied und verbarg, was ihr das Herz noch schwerer machen konnte. Aber fast die ganze andere Hälfte seines Herzens war den Ziegen zugewandt und es wollte ihm brechen, wenn er sah, wie sie, von Hunger getrieben, an der Kufe hinaufsprangen und vergebens Hals und Zunge streckten um die Neige darin zu errei- chen. Hätten sie von seinen schönen Worten und Vertröstungen auf den nahen Frühling satt werden können, dann hätten sie mehr als genug gehabt. Aber so wurden sie immer magerer und der Knabe entschloß sich endlich für sie zu tun, was er noch nicht einmal für seine Mutter getan hatte. 2. In Solnhofen war ein Benediktinerkloster. An die Pforte desselben pochte der Knabe mit dem schweren, eisernen Klöpsel, der daran hing, und antwortete dem Bruder Pförtner, der nach seinem Begehr fragte, er müsse mit dem Abt selbst reden. Er wurde vor diesen ehrwürdigen Diener Gottes geführt, küßte ihm die Hand und bat, er möchte ihm doch nur erlauben, das Heu aufzulesen, das die Klosterkühe unter den Barren und unter die Streu würfen. Denn seine zwei Ziegen wären am Verhungern. Den Abt überraschte anfangs die Bitte, deren Gewährung gar leicht mißbraucht oder wenigstens zu einer großen Versuchung werden konnte. Aber bald überzeugte er sich, mit was für einer aufrichtigen und redlichen Seele er es zu tun habe. Er fragte unter anderen Dingen nach dem wenigen, was nach den damali- gen Anforderungen der Kirche ein Christ wissen sollte. Der Knabe sagte seinen Glauben, sein Vaterunser nebst einigen anderen kür- zeren Gebeten gut her und beantwortete munter etliche Fragen aus den Evangelien. — Nun sprach der Abt: „Mein Söhnlein, du darfst alle Tage, wenn unsere Kühe zur Tränke getrieben
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