1872 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Bender, Ludwig, Haesters, Albert
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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darüber und ringsum, und di; Reis« den mit ihren Pferden in dieser gräßlichen'
Gefahr nur angewiesen auf die Schnelligkeit ihrer Thiere!
Immer jagten sie fort und fori. Das Feuer war dicht hinter ihnen, da
gewahrten sie auf einmal, daß etwa eine Viertelstunde vor ihnen die unermeßliche
Heerde einen tiefen Schlund erreicht statte, den die Thiere in der Todesangst zu
überspringen suchten, wobei Tausende auf Tausende in den dreihundert Fuß tiefen
Abgrund stürzten.
Immer geschwinder fliegt das Feuer heran, immer heftiger lodern die Flammen
auf, als wollten sie ihre Beute nicht fahren lasten; seine Wogen wirbeln über den
Köpfen hin und ersticken die Flüchtlinge fast mit ihrer Hitze und ihrem schwarzen
Rauche. Eile ist Leben, der Schlund muß die Gehetzten retten oder begraben.
Sie springen hinab, und erreichen, gesühl- und bewegungslos, thurmttef den Boden.
Zur Besinnung gekommen, fühlen sie sich unverletzt; das Zischen und Krachen des
Feuers aber dauert oben über ihren Häuptern fort, und schaudernd sehen die
Geretteten zu den Flammen hinauf, die oben am Rande des Abgrundes fort-
wüthen, bald auflodernd, bald sich senkend, als wollten sie nicht ruhen und rasten,
bis alles Leben aus den unermeßlich« Prairien vernichtet sei.
Die Reisenden sind gerettet. Ihr Fall brach sich an der ungeheuren Maste
von Thieren, auf den Tausenden vcn Leichnamen, die eine Secunde vorher den
Sprung über den Abgrund aus Furcht vor dem Feuer oder gedrängt von den
nachstürzenden Masten gemacht und bet demselben Hals und Beine in der Schlucht
gebrochen hatten, so daß ihre Leiber wie Kissen die Reisenden aufnahmen. Die
Reisenden wickeln sich aus diesem Thaos thierischer Leichname und gewinnen
tiefer unten einen freien Platz, auf dem sie ausruhen. Doch das fortdauernde
Zittern der Erde belehrt sie, daß der rasende Wettlauf der Thiere und des Ele-
ments noch immer nicht aufgehört haben. Sie preisen sich glücklich, gerettet zu
sein, danken dem Himmel für ihre Rettung, und da sie vor unmittelbarer Gefahr
sicher sind, thun sie sich gütlich mit einem Büffelkalbs, dessen Gebeine in Splitter
zerschellt sind.
Als sie nach einigen Rasttagen ihre Prairiereise fortsetzen, gelangen sie zu einem
See, dessen Fluthen den Wellen des'flammenmeeres einen Damm entgegengestellt
hatten, hinter welchem die Haufen der tödtltch gehetzten Thiere endlich den ersehnten
Ruhepunkt gefunden. Ein paradiesischer Anblick! So wett das Auge reicht,
Tausende und Tausende von Thieren ausgestreckt, theils die ermüdeten Glieder
leckend, theils, ohne aufzustehen, die Hälse vorstreckend, um das Gras in ihrer
Umgebung abzuweiden. Alle sonstige Feindschaft der einzelnen Gattungen und
Arten unter einander hat während der gemeinsamen Todesgefahr geruht, und die
gegenwärtige gänzliche Erschöpfung aller hat den Waffenstillstand nothgedrungen
verlängert. Wölfe und Panther liegen nur wenige Schritte von einer kleinen
Heerde Antilopen; Büffel, Bären un's Pferde ruhen unter einander, und keines
vermag sich von der Stelle zu rührer> auf welche es die vollkommenste Erschöpfung
hat niedersinken gemacht.
Dort liegt ein Jaguar, der grimn !g nach einem fünf Schritte entfernten Büffel-
kalbe schaut; beim Anblick der Reistnden versucht er aufzustehen, aber gänzlich
kraftlos krümmt er seinen Leib kreisförmig, verbirgt mit seinen schweren Tatzen
den Kopf auf der Brust und stößt ein langsames klagendes Geschrei aus. Nicht
wett entfernt liegt ein herrlicher Edelhirsch, so abgemattet, daß er nicht ein paar
Zoll weit sich bewegen kann, um das Gras zu erreichen, und seine vertrocknete
Zunge zeigt deutlich, wie er durch Wassermangel leidet. Ein ächter Jäger, der
Gabriel! Sofort holt er aus dem zwanzig Schritte entfernten See eine Mütze
voll Wasser, sprengt dem edlen Thiere einige Tropfen auf die Zunge und läßt
es die Mütze leeren. Als er ihm die zweite Mütze Wasser gereicht, leckt das dank-
bare Thier ihm die Hände und verfolgt den Wohlthäter mit Blicken, die aufrich-
tiger und deutlicher sprachen, als mancher vierseitige Danksagungsbrtef. Schäme
dich, Undankbarer, vor dem Thiere, welches nie eine Wohlthat vergißt!
Nachdem ihre Pferde wieder Kräfte gewonnen, führt Gabriel die Reisenden
weiter durch die Prairien dem Ziele ihrer Reise, Texas zu.