1872 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Bender, Ludwig, Haesters, Albert
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Sie nahm ein Gefäß mit Wasser und goß es ihm durchs Fenster nach.
„Ich dachte es wohl," sagte Sokrates, „aus ein Donnerwetter pflegt
ein Regen zu kommen."
Einst beschwerte sich ein Athener über die Mühseligkeiten einer
Fußreise, die er so eben gemacht hatte. „Hat dir dein Sklave folgen
können?" fragte Sokrates. „O ja." — „Trug er etwas?" — „Ein
großes Bündel." — „Der ist wohl recht müde?" — „Nein, ich habe
ihn sogleich wieder mit einem Aufträge fortgeschickt." — „Siehe," sagte
Sokrates, „du hast vor deinem Sklaven Vorzüge des Glückes; er
hat vor dir Vorzüge der Natur."
Sokrates grüßte einen vornehmen Bürger auf der Straße, der ihm
nicht dankte, sondern stolz vorüberging. Die jungen Freunde des
Weisen waren darüber unwillig. „Nicht doch," sagte Sokrates, „ihr
würdet ja nicht zürnen, wenn mir einer begegnete, der häßlicher wäre
als ich. Warum ereifert ihr euch also, daß dieser Mensch minder
höstich ist als ich?"
Es war vorauszusehen, daß sich Sokrates durch seine ausgezeichnete
Weisheit und Tugend bei dem großen Hausen seiner verdorbenen Mit-
bürger, deren Sittenlosigkeit er mit Worten strafte, Haß und Neid zu-
ziehen mußte. Sie verläumdeten ihn also, verklagten ihn öffentlich,
er glaube nicht an die Götter der Vaterstadt, und die ungerechten
Richter verurtheilten ihn zum Tode. Sokrates hörte sein Todesurtheil
mit der größten Ruhe. Er verzieh Allen, die ihn verurtheilt hatten,
und freute sich, bald zu den Geistern der edlen Männer aus der Vor-
zeit hinüber zu wandeln. Dann wurde er ins Gefängniß geführt.
Seine Schüler hatten den Gefängnißwärter bestochen, daß er die Thüre
des Kerkers offen ließe, damit ihr geliebter Lehrer sich durch die Flucht
retten könnte; er aber wies ihren Vorschlag zurück und trank den ihm
dargereichten Giftbecher — 400 v. Chr.
3. Alexander der Große, König von Macedonien.
(333 v. Chr.)
Alexander, der Sohn Philipps, des Königs von Macedonien, verdankte
seine Bildung dem berühmten griechischen Philosophen Aristoteles. Schon als
Knabe hatte Alexander für alles Ruhmwürdige einen regen Sinn. So oft er die
Nachricht von einem Siege seines Vaters erhielt, rief er schmerzlich aus: „Mein
Vater wird mir nichts mehr zu erobern übrig lassen!" Einmal bekam sein Vater
ein wildes Pferd, Bucephalus genannt. Die besten Reiter versuchten ihre
Kunst, aber es ließ keinen auffitzen. Da bat Alexander seinen Vater, ihm einen
Versuch zu gestatten. Nach vielem Bitten erhielt er endlich die Erlaubniß. Nun
ergriff er das Pferd beim Zügel und führte cs gegen die Sonne; denn er hatte
bemerkt, daß es sich vor seinem eigenen Schatten scheute. Er streichelte es, und
plötzlich schwang er sich pfeilgeschwind hinauf. Das Pferd stog in wildem Ga-
lopp mit ihm davon, und sein Vater fürchtete für sein Leben. Als er aber
umlenkte und das unbändige Roß sicher tummelte, da erstaunten Alle, und Philipp
rief voll Freuden: „Mein Sohn, suche dir ein anderes Königreich; Macedonien iß
zu klein für dich." —
Alexander war kaum zwanzig Jahre alt, als sein Vater starb. Zuerst
unterwarf er sich Griechenland und zeigte sich überall als einen Kenner und Be-
schützer der Künste und Wissenschaften. In Korinth besuchte er aucb den Dioge-