1883 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Keck, Heinrich, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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112. Das Ci des Kolumbus.
Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: „Ich hätte zu keiner
ungeschickteren Zeit können gesund werden, als jetzt, wo ich zum Doktor soll.
Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser
lief' mir!" —
Als er nun zum Doktor kam, nahm der ihn bei der Hand und sagte
ihm: „Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt."
Da sagte er: „Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts; und wenn Ihr so
gesund seid, wie ich, so soll’s mich freuen." Der Doktor sagte: „Das hat
Euch ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem Rate gefolgt seid. Der Lind-
wurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib, deswegen müßt
Ihr wieder zu Fuß heimgehen, und daheim fleißig Holz sägen, und nicht mehr
essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlüpfen, so
könnt Ihr ein alter Manu werden", und lächelte dazu. Aber der reiche Fremd-
ling sagte: „Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich verstehe Euch
wohl", lind hat nachher den Rat befolgt, und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage
gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt
20 Dublonen zum Gruß geschickt. He.bel.
112. Pas Ei des Kolumbus.
.Bei einem Feste, welches der Kardinal Mendoza dem Kolumbus zu
Ehren veranstaltete, hielt er ihm eine grosse Lobrede wegen der von
ihm gemachten Entdeckung. Die anwesenden Herren vom Hof nahmen
es übel auf, dass einem Ausländer, noch dazu einem Manne, der
nicht einmal von adliger Herkunft sei, so grosse Auszeichnung zu teil
wurde. „Mich dünkt“, hub einer der königlichen Kammerherren an,
„der Weg nach der sogenannten neuen Welt war nicht so schwer zu
finden, das Weltmeer stand überall offen, und kein spanischer Seefahrer
würde den Weg verfehlt haben.“ Mit vornehmem Gelächter gab die
Gesellschaft dieser Äusserung ihren Beifall zu erkennen, und mehrere
Stimmen riefen: „0, das hätte ein jeder von uns gekonnt!“
„Ich bin weit davon entfernt“, entgegnete Kolumbus, „mir etwas
als Ruhm anzumassen, was ich nur einer gnädigen Fügung des Him-
mels zuschreiben darf, indessen kommt es doch bei vielen Dingen in
der Welt, welche uns leicht auszuführen scheinen, oft nur darauf an,
dass sie ein anderer uns vormacht, „Dürft’ ich“, sagte Kolumbus zu
jenem Kammerherrn gewendet, „Sie wohl ersuchen, dies Ei“ — er
hatte sich von einem Diener ein Hühnerei bringen lassen — „so auf
die Spitze zu stellen, dass es nicht umfällt?“ Der Kammerherr ver-
suchte von der einen wie von der andern Seite vergeblich, das Ei zum
Stehen zu bringen. Der Nachbar bat es sich aus, es wollte ihm ebenso
wenig gelingen. Nun drängten sich die andern hinzu, ein jeder wollte
den Preis gewinnen, allein weder mit Eifer noch mit Ruhe war es
möglich, das Kunststück auszuführen. „Es ist unmöglich“, riefen die
Herren, „Ihr verlangt etwas Unausführbares.“ „Und doch“, sagte
Kolumbus, „werden diese Herren sogleich sagen: das kann jeder von
uns auch!“ Jetzt nahm er das Ei und setzte es mit einem leichten Schlag