Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 211

1883 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
56. Polykarpus. 211 Und der Bischof nahm den Jüngling zu sich, unterwies ihn, sah die schönsten Früchte in ihm blühn, und weil er ihm vertraute, ließ er nach von seiner strengen Aufsicht. Und die Freiheit war ein Netz des Jüng- lings ; angelockt von süßen Schmeicheleien, ward er müßig, kostete die Wollust, dann den Reiz des fröhlichen Betruges, dann der Herrschaft Reiz; er sammelt' um sich seine Spielgesellen, und mit ihnen zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber. Als Johannes in die Gegend wieder kam, die erste Frag' an ihren Bischof war: „Wo ist mein Sohn?" „Er ist ge- storben", sprach der Greis und schlug die Augen nieder. „Wann und wie?" — „Er ist Gott abge- storben, ist, mit Thränen sag' ich es, ein Räuber." „Dieses Jünglings Seele", sprach Johannes, sordr'ich einst von dir! Jedoch wo ist er?" — „Auf dem Berge dort!" „Ich muß ihn sehen!" Und Johannes, kaum dem Walde nahend, ward ergriffen; eben dieses wollt' er. „Führet", sprach er, „mich zu eurem Führer." Vor ihn trat er. Und der schöne Jüngling wandte sich: er konnte diesen Anblick nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling, nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater, einen Greis- Ich habe dich gelobet meinem Herrn und muß für dich antworten. Gerne geb' ich, willst du es, mein Leben für dich hin; nur dich fortan verlassen kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet, dich mit meiner Seele Gott verpfändet." Weinend schlang der Jüngling seine Arme um den Greis, bedeckete sein Antlitz stumm und starr; dann stürzte,' statt der Antwort, aus den Augen ihin ein Strom von Thränen. Auf die Kniee sank Johannes nieder, küßte seine Hand und seine Wange, nahm ihn neugeschenket vom Gebirge, läuterte sein Herz mit süßer Flamme. Jahre lebten sie setzt unzertrennet mit einander; in den schönen Jüngling goß sich ganz Johannes' schöne Seele. Sagt, was war cs, was das Herz Jünglings also tief erkannt' und innig festhielt? und es wiederfand und unbezwingbar rettete? Ein Sankt-Johannes-Glaube, Zutraun, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit. Herder. 56. Polykarpus. „Was tötet ihr die Glieder?" rief die Wut des Heidenpöbels: „Sucht und würgt das Haupt!" Man sucht den frommen Polykarpus, ihn, Johannes' Bild und Schüler. Sorgsam hatten die Seinen ihn aufs Land geflüchtet. „Ich sah diese Nacht das Kissen meines Haupts in voller Glut", so sprach der kranke Greis, „und wachte mit besondrer Freude auf. Ihr, Lieben, mühet euch umsonst: ich soll mit meinem Tode Gott lobpreisen." Da erscholl das Haus vom stürmenden Geschrei der Suchenden. Er nahm sie freundlich auf: „Bereitet", sprach er, „diesen Müden noch ein Gastmahl, ich bereite mich indes zur Reise auch." Er ging und betete, und solgete mit vielen Schmerzen ihnen zum Konsul. Als er aus den Nichtplatz kam, rief eine mächt'ge Stimm' im Busen ihm: „Sei tapfer, Polykarp!" — Der Konsul sieht den heitern, schönen, ruhigsanften Greis verwundernd. „Schone", sprach er, „deines Alters und opsre hier, entsagend deinem Gott!" „Wie sollt' ich einem Herrn entsagen, dem zeitlebens ich gcdienet und der mir zeitlebens Gutes that?" — „Und fürchtest du denn keines Löwen Zahn? — „Zermalmet muß das Weizenkorn doch einmal werden, sei's wodurch es will, zur künft'gen neuen Frucht." Der Pöbel rief: „Hinweg mit ihm! Er ist der Christen Vater; Feuer, Feuer her!" Sie trugen Holz zusammen, und mit Wut ward er ergriffen. „Freunde", sprach er, „hier bedarf's der Bande nicht: wer dieser Flamme mich würdigte, der wird mir Mut verleih»!" Und legte still den Mantel ab und band die Sohlen seiner Füße los und stieg hinauf zum Scheiterhaufen. Plötzlich schlug die Flamm' empor, umwehend ringsum ihn gleich einem Segel, das ihn kühlete, gleich einem glänzenden Gewölbe, das den Edelstein in seine Mitte nahm und schöner ihn verklärte; bis ergrimmt des ihm eine freche Faust das Herz durchstieß. Er sank, es floß sein Blut, die Flamm' erlosch, und eine weiße Taube flog empor. Herder. 11*
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer