1883 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Keck, Heinrich, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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12. Die Eroberung Jerusalems.
Namenlose Wonne ergriff sie; sie weinten vor Freude und küßten den Erdboden
und wären gern gleich eingezogen. Aber die Stadt war befestigt und von 60 000
Mohamedanern besetzt. Man schickte sich zum Sturm an; aber die Türken
schlugen ihn ab. Wochenlang wurde die Stadt belagert. Brennender Durst
quälte die Belagerer, da weit und breit die Brunnen verschüttet waren.
Meilenweit mußte das Holz zu den Belageruugswerkzeugen herbeigeschafft wer-
den. Man bereitete einen neuen Sturm. Leitern, Wurfmaschinen und Bela-
gerungstürme wurden gezimmert. In feierlichem Zuge, die Priester voran,
bewegte sich das Heer, von den Türken verhöhnt, um die Stadt. Am 14. Juli
1099 näherte man sich den Stadtmauern. Ein Hagel von Steinen und Wurf-
spießen empfängt die Angreifenden. Über Leichenhügel hinweg schreiten sie voll
Todesverachtung. Die Kriegsmaschinen werden herangebracht. Schon jubelt
das christliche Heer. Da bricht die Nacht herein und macht dem Kampfe ein
Ende. Kaum dämmert der Morgen, so beginnt die blutige Arbeit von neuem.
Mit Erbitterung verteidigen sich die Türken. Töpfe mit brennendem Pech und
Schwefel, Steine, Balken, selbst Leichname werden auf die Köpfe der Belagerer
hinabgeschleudert. Sie weichen. Ein Jubelrnf der Türken erschallt. Da erblickt
Gottfried von Bouillon auf dem Ölberg eine Rittergestalt in weißer Rüstung
und den hellstrahlenden Schild schwingend. „Seht da", ruft er, „ein Cherub
mit flammenden! Schwerte, den Gott uns zum Mitstreiter sendet." — „Gott
will es! Gott will es!" antwortet die Schar der Christen, und mit wildem
Ungestüm dringt sie vorwärts. Gottfried erklimmt zuerst die Mauer. Die
Seinen folgen; Schar drängt sich auf Schar, und Jerusalem ist erobert. Ein
schreckliches Morden beginnt. Männer und Weiber, Greise und Kinder tötet
erbarmungslos das Schwert der Christen. Von Gasse zu Gasse wälzt sich der
Mord. In den weiten und festen Mauern des Tempels haben Tausende Ret-
tung gesucht; aber der Tempel wird erstürmt, und die Unglücklichen werden
erschlagen. Das Blut fließt in Strömen. 10 000 Feinde sind getötet; aber
noch ist das Morden nicht zu Ende. Nur Gottfried hält sich fern von diesem
Würgen. Barfuß, ohne Helm und Panzer, eilt er in die Kirche zum heiligen
Grabe, um dem Herrn für den errungenen Sieg zu danken. Nach dreien Tagen
endlich endet Mord und Plünderung. Nun werden die Straßen gereinigt; die
Sieger waschen das Blut von ihren Händen, und, in weiße Gewänder gehüllt,
wandeln sie in feierlichem Zuge nach dem heiligen Grabe. Die Geistlichkeit kommt
ihnen entgegen mit hoch erhobenen Kreuzen und mit frommen Gesängen, und
voll Andacht sinkt die siegreiche Schar in den Staub.
Gottfried wurde zum Könige von Jerusalem erwählt. Allein er weigerte
sich beharrlich, da eine Königskrone zu tragen, wo sein Heiland eine Dornen-
krone getragen hätte, und begnügte sich damit, Beschützer des heiligen Grabes
zu heißen. Er starb schon nach einem Jahre und ward in der Kirche des
heiligen Grabes zu Jerusalem begraben. Aus sein Grab schrieben die trauernden
Kreuzfahrer die einfachen Worte: „Hier liegt Gottfried von Bouillon,
welcher dies Land der Christenheit wiedergewonnen hat. Seine Seele ruhe in
Christo. Amen! "
In den zweihundert Jahren, während welcher die Kreuzzüge dauerten,
sind wohl an 7 Millionen Menschen ins Morgenland gezogen, und nur wenige
von ihnen sahen ihr Vaterland wieder. Sollen doch sogar im Jahre 1212