1883 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Keck, Heinrich, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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53. Das Gottesgericht in Frankreich
wandten des preußischen Herrscherhauses zu sehen. Der König erwiderte würdig,
daß, wie er nicht um die Erlaubnis zur Annahme der spanischen Krone ange-
gangen sei, er auch nicht ein Verbot in dieser Beziehung erlassen könne. Da
wuchs in wenigen Tagen die Aufregung in Paris bis zu dem Grade, daß alles
nach Krieg verlangte; in Deutschland erwartete man erstaunt, aber ruhig und
fest die weitere Entwickelung der Dinge. Als aber der Prinz Leopold aus
eigenem Antriebe erklärte, er wolle nicht die Schuld tragen, daß zwei mächtige
Nachbarstaaten in einen blutigen Krieg mit einander verwickelt würden, er ver-
zichte vielmehr auf den spanischen Thron, da glaubte jedermann, nun sei das
drohende Ungewitter verteilt, nun sei jeder Anlaß zu einem Kriege beseitigt.
Bald aber trat nur zu deutlich hervor, daß für die Franzosen die spanische
Angelegenheit nichts weiter als ein nichtiger Vorwand für ihre Eroberungsgelüste
gewesen sei. Denn Kaiser Napoleon stellte jetzt durch seinen Botschafter an den
greisen König Wilhelm die Forderung, er solle versprechen, daß auch in Zukunft
der Prinz von Hohenzollern sich nicht wieder um den spanischen Thron bewerben
werde; ja, ein französischer Minister sprach das schmachvolle Verlangen aus, der
König möge sich in einem eigenhändigen Briefe an Napoleon wegen des Vor-
gefallenen entschuldigen. Natürlich wies der ritterliche Wilhelm diese schamlosen
Forderungen würdevoll und fest zurück; sah nun doch mit ihm das ganze Deutsch-
land klar, daß die Franzosen es nur darauf abgesehen hätten, unser Vaterland
zu entehren und zu demütigen oder es zu berauben.
Aber Napoleon hatte sich in seinen Anschlägen sehr verrechnet. Er hatte
gehofft, die seit 1866 in Preußen einverleibten Provinzen würden zum Abfall
bereit sein, die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden würden
auf seiner Seite stehen oder jedenfalls sich teilnahmlos verhalten: aber die
dein Heldenkönig in Ems widerfahrene Beleidigung weckte in ganz Deutschland,
von den Alpen bis zur Nordsee, die schlummernden patriotischen Gefühle, durch
Millionen zuckte wie mit elektrischem Schlage die Empfindung, daß, wenn
Frankreich denn durchaus den Krieg wolle, das gesamte Vaterland zur helden-
inütigen Abwehr sich erheben und für alte und neue Unbilden zugleich die
Abrechnung machen werde.
Am 15. Juli verließ König Wilhelm die Stadt Ems, um sich nach
Berlin zu begeben. Auf dieser Reise mochten wohl bange Sorgen ihn
beschleichen, denn es war vorauszusehen, daß dieser Krieg ein entsetzlich blutiger
sein würde, aber erhebend war die Begeisterung, womit ihm in allen Städten,
die er berührte, vornehmlich aber in seiner Hauptstadt Berlin, die Bevölkerung
entgegenjubelte: man fühlte, daß durch die Beleidigung, die ihm die welsche
Frechheit zugefügt hatte, ganz Deutschland herausgefordert sei, daß das Vater-
land aber auf seinen Horst den großen und guten König Wilhelm, bauen könne.
Und sofort kamen auch aus Süddeutschland die erfreulichsten Nachrichten: der
ritterliche König Ludwig von Bayern erließ schon am 16. Juli den Befehl an
seine Truppen, sich kriegsbereit zu halten, Württemberg und Baden folgten bald,
das Schutz- und Trutzbündnis von 1866 bestand also seine Probe.
Noch nie war Deutschland so einig gewesen, noch nie waren alle seine
Stämme so sehr von derselben Begeisterung durchglüht. Niemand verhehlte
sich freilich, daß dieser Krieg ungeheure Opfer fordere, ja, weil Napoleon
offenbar schon lange diesen Angriff vorbereitet hatte, mußte man daraus gefaßt