1883 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Keck, Heinrich, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
83. Das Erdbeben von Caracas.
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83. Das Erdbeben von Caracas.
Pom Anfange des Jahres 1811 bis zum Jahre 1813 war ein großer Flächen-
raum, der die Provinz Venezuela, Westindien und einen Teil von Nord-
amerika begreift, fortwährend den Erschütterungen unterirdischer Kräfte ausgesetzt.
Am Mississippi befand sich der Erdboden Tag und Nacht in dem Zustande eines
steten Hin- und Herschwankens; die Stadt Caracas verspürte den ersten Stoß
in: Dezember 1811. Die Provinz Venezuela litt vor der Erschütterung, welche
ihre Hauptstadt zerstörte, an großer Trockenheit; zu Caracas und in einem
Umkreise von 311 englischen Meilen um diesen Ort war in den 5 Monaten,
welche diesem Unglücke vorausgingen, kein Tropfen Regen gefallen. Am
26. März herrschte eine außerordentliche Hitze, die Luft war ruhig und der
Himmel wolkenfrei. Es war gerade der erste Ostertag, und ein großer Teil der
Einwohner befand sich in den Kirchen. Kein gefahrdrohendes Zeichen ging dem
furchtbaren Ereignisse voraus. Sieben Minuten nach 4 Uhr abends wurde die
erste Erschütterung gespürt. Sie war so stark, daß die Glocken in den Kirchen
ertönten, und dauerte 5 bis 6 Sekunden. Unmittelbar auf diesen ersten Stoß
solgte ein zweiter, welcher 10 bis 12 Sekunden anhielt. Während desselben
war der Boden in einem beständigen Schwanken begriffen und wogte gleich einer
kochenden Flüssigkeit. Man glaubte schon, die Gefahr sei vorüber, als sich ein
furchtbares unterirdisches Getöse vernehmen ließ, welches dem Rollen des Don-
ners glich. Auf dieses Getöse folgte eine Erschütterung in senkrechter Richtung,
und auf diese eine wellenförmige, die etwas länger dauerte. Die Stöße befolg-
ten entgegengesetzte Richtungen von Norden nach Süden und von Osten nach
Westen. Es war unmöglich, daß irgend etwas die Bewegung von unten nach
oben und die einander kreuzenden Bewegungen aushalten konnte. Die Stadt
Caracas ward gänzlich zerstört, und 9 bis 10 000 ihrer Einwohner wurden
unter den Trümmern der einstürzenden Kirchen und Häuser begraben. Eine
Prozession, welche gehalten werden sollte, hatte noch nicht begonnen, allein das
Gedränge in den Kirchen war so groß, daß gegen 3 bis 4000 Personen durch
den Einsturz der gewölbten Dächer zerschmettert wurden.
Im nördlichen Teile der Stadt war die Erschütterung am stärksten. Zwei
Kirchen dieses Teils, welche etwa 45 Meter hoch waren und deren Schiffe auf
Säulen von etwa 4 Meter im Durchmesser ruhten, wurden in eine Masse von
Ruinen verwandelt, die nirgends über anderthalb Meter hoch war. Das Ein-
sinken der Trümmer war so bedeutend, daß nach wenigen Jahren kaum noch
eine Spur von den Pfeilern und Säulen gesehen wurde. Die Baracken, aus
denen ein nördlich von diesen Kirchen gelegenes Quartier bestand, verschwanden
fast gänzlich. Ein Regiment Linientruppen, welches sich in einem großen Gebäude
dieses Stadtteils versammelt hatte, um sich dem feierlichen Zuge der Prozession
anzuschließen, wurde, mit Ausnahme weniger, unter diesem Hause begraben.
Neun Zehntel der schönen Stadt Caracas stürzten völlig in Trümmer zusammen.
Die Häuser, welche nicht einfielen, waren dergestalt gesprungen, daß es niemand
wagen durfte, sie zu bewohnen. Die Hauptkirche, welche durch große Strebe ^
Pfeiler gestützt ist, blieb stehen.
Unter die 9 bis 10000 Menschen, welche oben als die Zahl der durch das
Erdbeben Getöteten angegeben wurden, sind nicht die Unglücklichen mit einbegriffen,