1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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221. Der Schiffsbrand.
Der Kapitän fprach's, und die Mannschaft machte den Offizieren Platz.
Man brauchte keine weiteren Erkundigungen einzuziehen, denn als der dienst-
thuende Offizier an den Eingang des Lazaretts kam, drang ihm ein erstickender
Rauch entgegen. Das Gestöhn der Kranken war herzzerschneidend. „Mir nach,
mir nach!" rief der mutvolle Offizier und drang in die Räume des Unglücks
ein. Einzelne beherzte Matrosen folgten ihm und entrissen ihre unglücklichen
Kameraden dem entsetzlichen Fenertode. Die Kranken auf dem Rücken, erschienen
sie oberhalb der Luken und legten ihre Last schweigend auf dem Verdeck nieder.
Unterdessen hatten die Offiziere mit großer Umsicht Anstalten znm Löschen
getroffen. Die Schiffspumpen waren im vollen Gange, und ein dichter Wasser-
strahl schoß in die Räume des Lazaretts hinab. Andere zogen in Eimern und
anderen Behältern Wasser herauf und benetzten unaufhörlich das Verdeck von
einem Ende bis zum anderen.
Zwei unerschrockene Kadetten wurden zur Pulverkammer beordert, um
genau nachzusehen, ob jebe Vorsichtsmaßregel getroffen sei, diese zu schützen.
Zwei andere begleiteten den Proviantmeister hinab zu den Vorräten, mit dem
Aufträge, sobald es nötig sei, alle feuerfangenden Gegenstände zu entfernen und,
wenn es sein müsse, sie über Bord zu werfen. Sie drangen in die finstern
Räume ein; um sehen zu können, mußten sie die Thür auflassen, und nun
gewährte ihnen der Feuerschein hinlängliches Licht. Aber an dem entgegengesetzten
Ende der Kammer waren die Lnftklappen geöffnet; der Wind gewann einen
freien Durchzug und flog zu dem Feuer herüber; wild prasselte die Flamme auf
und leckte die Balken des Verdecks.
„Über Bord mit dem Rum und Branntwein!" schrie der Proviantmeister
außer sich und rollte ein Faß vor sich her, um es vom Verdeck aus über Bord
zu rollen. Kräftige Hilfe war zur Hand, es wurde ein Tau herabgelassen und
das Faß gehißt; das Tan war aber zu schwach, konnte die angehängte Last nicht
tragen und riß. Das Faß stürzte hinab und platzte auseinander; glühende
Brände fielen in das nach allen Seiten hinströmende Feuerwasfer, und brennende
Wellen brachen sich an den Seitenborden des Zwischendecks.
Die Kunde des neuen Unglücks gelangte auf das Verdeck. Die Offiziere
wandten die erbleichenden Gesichter ab, der Kapitän aber schien allgegenwärtig
zu fein und munterte mit kräftigen, entschlossenen Worten die Leute zu neuen
Anstrengungen auf.
Längst waren die Segel festgemacht und das Schiff den Wellen überlassen;
überdies hatte auch der schwächste Windhauch aufgehört, und die Atmosphäre
war unbeweglich. Der Mond schien klar und hell, und einzelne Sterne blitzten
freundlich auf die Unglücksstelle herab. Aber fern im Westen änderte sich die
Scene, und eine Wolkenmaffe stieg aus der Tiefe des Meeres herauf. Hätten
die Leute noch auf irgend etwas anderes achten können, als auf die Flammen,
die in dem Innern des Schiffes wüteten, so würden sie gesehen haben, daß sich
ein zweites Element zu ihrem Untergange rüstete.
Zum Tode erschöpft, ließen die Matrosen die Arme hängen; die Offiziere
gingen von einem zum andern, feuerten sie durch ermutigende Worte an und
erquickten sie mit stärkendem Wein. Aufs neue begann die Arbeit, die Ver-
zweiflung verlieh ihnen übermenschliche Kräfte, und jeden Augenblick dämmerte