1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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221. Der Schiffsbrand.
mernbe Hai schreckte aus dem Schlummer auf; es schien ihm, als ob es Tag
geworden sei und die Morgensonue ihr rosiges Licht auf die Meerflut werfe.
Spritzend und schnaubend kamen die Ungeheuer des Meeres mit weitgeöffneten
Rachen an die Oberfläche und umkreisten das brennende Schiff, hohe Wasser-
strahlen gegen den Nachthimmel aufspritzend, wahrend die Kanonen des Back-
bords sich lösten und wie ferner Donner verhallten.
Die Lust zum Leben siegte; hier war gewisser Untergang, dort eine Mög-
lichkeit zur Rettung. Die Matrosen, der Weisung ihrer Offiziere wieder gedul-
dig folgend, stiegen in das Langboot hinab.
Dasselbe war gefüllt und versuchte nun, sich von dem brennenden Schiffe
zu entfernen und aus dem drohenden Bereiche der Kanonen zu kommen, die
sich noch nicht alle entladen hatten. Die Schaluppe kam an die Reihe, und die
Offiziere verließen nun das Verdeck, das mit jedem Augenblick glühender ward
und ein längeres Verweilen nicht mehr gestattete. Der Kapitän war der letzte.
Als alle hinunter waren, setzte er den Fuß auf die schwankende Leiter; doch
plötzlich wich er zurück und rief: „Wo sind die Kadetten, die zur Pulverkammer
beordert wurden?"
Keine Antwort! Aus der Schaluppe aber erfolgte die ungeduldige Mah-
nung, daß der Kapitän nicht länger säunien möge.
„Nicht von der Stelle", ries er aus, „bis ich über das Schicksal dieser
Unglücklichen im Klaren bin!" Und mit diesen Worten stürzte er durch Rauch
und Flammen nach der Pulverkammer, der sich die Glut bereits aus das bedroh-
lichste näherte. Dort fand er sie. Erschöpft von der anstrengenden vergeblichen
Arbeit, war der jüngere bereits ohnmächtig niedergesunken; der ältere bemühte
sich umsonst, ihn zu ermuntern und mit sich fortzuziehen. Der Kapitän ergriff
den ohnmächtigen, und mit starken Armen trug er ihn, unter endlosem Feuer-
regen, auf das Verdeck, während der andere ihm folgte. Mit lautem Freuden-
geschrei wurden sie von den Offizieren empfangen und in die Schaluppe gebracht,
die von einer Welle ersaßt und weit von dem Schiffe fortgeschleudert wurde.
Das Langboot und die übrigen Fahrzeuge, begleitet von gierigen Haien,
steuerten nach der Richtung hin, wo das Land lag, vorerst nur bemüht, so
schnell als möglich aus dem Bereiche des Schiffes zu kommen. Wenn die Glut
heller aufleuchtete, sah man eines oder das andere über die Flut hinstreichen.
Die „Atalante" gewährte in ihrer letzten Stunde einen majestätischen An-
blick. Der Vordermast und das Bugspriet waren herabgestürzt, und der große
Mast war ausgebrannt und bereitete sich schwankend zum Sturze; der Besaumast
stand in heller Glut, und als ob es ein Zauber gewesen, der sie schützte, war
bis jetzt die von der Gaffel wehende Flagge noch nicht entzündet, sondern ihr
weißes Kreuz leuchtete weit hinaus iu die aufgeregte Sturmesnacht.
Schon waren die Boote in weiter Entfernung; da drang das Feuer bis
iu die Pulverkammer. Ein einziger, furchtbarer Knall, der das Meer bis in seine
Tiefe erbeben machte; eine ungeheure Flamme, die in die Wolken hineinstrahlte;
dann ein glühender Regen von Trümmern aller Art, die hoch hinaufgeschleudert
wurden und knitternd und knatternd herabfielen; endlich tiefe, schweigende Nacht.
Gegen Mittag des folgenden Tages erreichten die Boote die Küste von
Biscaya. H- Smidt.