1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
2. Attila.
217
Sieg zu Sieg und von Raub zu Raub führte, verehrte ihn fast abgöttisch. Über
seinen Getreuen waltete er gnadenvoll; höflich, freigiebig, gastfrei, verstand er immer
aufs neue sie an sich zu fesseln. Eine halbe Million Krieger folgte seinem Ruf. Als
Feldherr aber und Staatsmann tvar er rücksichtslos und kannte kein Erbarmen.
Seine wandernde Hofhaltung in der ungarischen Ebene >var die größte,
bunteste und reichste jener Zeit. Häuptlinge und Königskinder deutscher und
slavischer Stämme bildeten neben den Fürsten der Hunnen und der stammver-
wandten Völker seinen Hofstaat. Unter der Leibwache, die im Ringe um den
schön geschnitzten Zaun seines Hofes lag, dienten Männer aus fast allen Völkern
zwischen Persien und den Pyrenäen; edle Gotenfürsten neigten ehrfurchtsvoll ihr
Haupt vor seinem Befehl; Königskinder aus Thüringen und fremden Landen
wurden als Geiseln an seinem Hofe erzogen neben Sprößlingen der Wander-
stämme an der Wolga und der tatarischen Ebene; unterworfene Völker der Ostsee
führten ihm Zobel- und Otternfelle aus dem Eise des Nordens zu; Gesandte
aus Rom und Kvnstantinopel harrten furchtsam am Hofthor, um seine zornigen
Befehle entgegenzunehmen oder ihm demütig kostbare Geschenke zu Füßen zu legen.
Nachdeni er zuerst sich gegen Osten gewandt und Griechenland verwüstet
hatte, aber durch ein unermeßliches Lösegeld zum Abzüge bewogen war, zog er
im Jahre 451 durch Deutschlaiid nach Gallien (dem heutigen Frankreich), in
dessen südlichem Teile inzwischen die Westgoten nach gewaltigen Wanderungen ein
geordnetes Reich gegründet hatten. Deutschland ward auf diesem Durchzuge der
Hunnen furchtbar verwüstet, rvie ein Heuschreckenschwarm verheerten sie alles Land.
Am Rheine warfen sich 10 000 Burgunden dem Weltstürmer Attila entgegen,
aber vergeblich; in heldenmütigem Kampfe gingen sie ruhmvoll unter. Nun aber
vereinigten sich die Westgoten und die Römer, um durch gemeinsame Anstrengung
die Bildung des Abendlandes und das Christentum zu schützen. Der römische
Feldherr Astius und der Gotenkönig Theodorich brachten ein gewaltiges Heer
zusammen und trafen in den weiten Ebenen von Chalons an der Marne, wo-
hin Attila sich gezogen hatte, um für seine zahllose Reiterei Raum zu gewinnen,
mit dem Feinde zusammen. Dort sammelten sich die Völker des Morgenlandes
und die Völker des Abendlandes und standen sich gegenüber in heißer Erwartung
des Kampfes, der das Schicksal Europas entscheiden sollte. Attila hatte die
Übermacht der Masse, der Einheit und der Feldherrngabe; aber auf der Seite
der Abendländer stritt die Begeisterung für alles Große der alten Welt, für das
Christentum, für die Freiheit und den eigenen Herd. Deutsche aber fochten aus
beiden Seiten, ja, der Kern aller deutschen Völker stand hier feindlich gespalten
sich gegenüber, und welches Heer den Sieg gewann, die Deutschen wurden immer
geschlagen. Das mörderische Schlachten begann; mit der höchsten Erbitterung
kämpften beide Heere. Der tapfere Theodorich kam ums Leben, aber sein Sohn
Thorismund nahm blutige Rache. Die Westgoten entschieden die Schlacht.
Nachdem schon gegen 200 000 Menschen gefallen waren, wich Attila zurück,
und das Abendland war gerettet. Attila hatte schon einen großen Scheiterhau-
fen von Pferdesätteln errichten lassen, um sich darauf zu verbrennen, wenn er
verfolgt worden und unterlegen wäre. Aber er entkam. Thorismund ward
auf den noch blutigen Schild erhoben, und unter dem Jauchzen der Sieger zum
Könige der Westgoten ausgerufen. Aber die, welche das lliiglück verbundeii,