1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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22. Die Hansa.
leute, namentlich der Maurer und der Steinmetzen, die sogenannten Bauhütten,
die allmählich zu förmlichen Schulen der Baukunst wurden. Ihre Lehre war eine
geheime, außer den Mitgliedern durfte niemand die Hütte betreten. Aber aus
dem unglaublichen Wetteifer und dem uneigennützigen Zusammenwirken der ver-
schiedenen Baugewerke ging die Vollendung der gotischen Baukunst hervor. Jede
größere Stadt wollte ihren Dom haben. Da schien die schwere Masse leicht und
frei emporzusteigen; da wuchsen die Pfeiler wie Bäume hervor und schlossen sich
oben in spitzen Bogen ab, über dem Dache aber wurden sie durch spitze, in die
Wolken ragende Türme fortgesetzt; die Fenster waren von ungeheurer Größe, aber
das hereinfallende Licht ward gemildert durch kunstreiche Glasgemälde; die Erha-
benheit des Ganzen endlich barg sich in die reichsten und lieblichsten Verzierungen
der Steinhauerarbeit, so daß die Masse sich aus unermeßlich vielen, gleichsam
lebendigen Steingewächsen aufzubauen schien. Es waren riesige Werke, berechnet
auf die frommen Beiträge vieler nacheinander folgenden Geschlechter; der Bau-
meister, welcher den Plan entworfen hatte, sah wohl nie die Vollendung, ja, mit
solcher Uueigennützigkeit übergab er die Fortsetzung des Werkes seinen Nachfolgern,
daß wir nur in wenigen Fällen den Namen des ersten Urhebers kennen. Das größte
dieser Wunderwerke der Kunst ist der Dom von Köln, der in unseren Tagen
vollendet ist. Ihm zunächst kommt das Straßburger Münster, an welchem
vier Jahrhunderte lang gearbeitet worden ist.
Dabei ärgerte es den deutschen Bürger nicht, wenn zwischen Dom und Rat-
haus sich vielleicht eine Wasserpfütze mit schwimmenden Enten befand und dane-
den die alte Linde, die noch au eine Zeit erinnerte, wo die Stadt nicht war und
wo die Waldvögleiu in ihren Zweigen sangen. Nach G. Freytag.
^"22. Die Hansa.
norddeutschen Städte, so weit die nieder- oder plattdeutsche Sprache reichte,
Jj hatten schon früh ihre Kraft auf den Seehandel gerichtet und dadurch sich
uuermeßliche Reichtümer erworben. Wie sich aber alles im Mittelalter zu Genos-
seuschafteu zusammenschloß, so gingen auch sie, nicht wie die rheinischen Städte
zur augenblicklichen Verteidigung gegen übermütige Raubritter, sondern zur dauern-
den Verfolgung ihrer Handelsvorteile, einen Bund ein, der nach damaligem
Sprachgebrauch Hansa, d. h. Innung, genannt ward. Die ersten Mitglieder
waren Hamburg, Lübeck und Bremen, aber dieser Hansabund erweiterte sich im
dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert so, daß er zuweilen über 70 Städte
umfaßte, mit seinen Flotten die nordischen Meere beherrschte, ganze Länder
eroberte, mächtige Könige beugte. Doch war die Verbindung der Städte nur
locker, oft geteilt, oft eingeschlafen, und nur selten trat ihre ganze furchtbare
Kraft zum Verderben ihrer Feinde hervor, wenn sie sich einmal entschlossen
einig zu handeln. Dieser Bund konnte des ganzen deutschen Nordens Herr
werden, wenn er wollte; allein es wurde nicht einmal der Versuch dazu gemacht.
Die Bürger fühlten sich nur als Kaufleute, die zufrieden waren, wenn man
ihnen in der Fremde nur ihren umhegten Platz ließ, auf dem sie nach heimat-
licher Sitte und heimischem Recht ihren Handel betrieben.
Die Größe und Macht der Hansa beruhte, obwohl ihre Schiffe auch bis in
die innersten Buchten des Mittelmeeres gingen, zumeist auf dem Handel der Ostsee-