1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
49. Der letzte Kampf gegen Napoleon.
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nicht, Vater Blücher, es ist unmöglich", schallt es ihm aus den Reihen der
Krieger entgegen. „Kinder, es muh gehen", ruft er wieder, „ich hab'es ja
meinem Bruder Wellington versprochen. Ich hab' es versprochen, hört ihr
wohl? Ihr wollt doch nicht, daß ich wortbrüchig werden soll!" Und es ging
mit Gottes Hilfe dem Ziele entgegen.
Unterdessen war Wellington schon im heißesten Kampf. Napoleon hatte
ihn mit gewaltigem Ungestüm angegriffen; doch die englischen Krieger standen
wie Mauern von Eisen. Sturm auf Sturm wurde von ihnen abgeschlagen;
allmählich aber erschöpfte sich ihre Kraft Die französischen Feuerschlünde rich-
teten in ihren Reihen schreckliche Verwüstungen an; schon lagen 10 000 Mann
tot oder verwundet auf dem Schlachtfelde. Da seufzte der unerschütterliche
Wellington: „Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen!" Und
siehe, die Preußen kamen. Kanonendonner im Rücken und zur Rechten des
Feindes verkündigte ihr Anrücken. „Da ist der alte Blücher", ruft Wellington
hocherfreut, und seine ermatteten Krieger atmen auf. Unter Trommelwirbel
und Trompetengeschmetter stürmen nun die Engländer und Preußen von drei
Seiten auf den Feind ein. Es entsteht ein gräßliches Blutbad; die franzö-
sischen Garden kämpfen mit dem Mute der Verzweiflung. Aber vergeblich ist
ihr tapferer Widerstand; bald ertönt aus den Reihen der Franzosen der Ruf:
„Rette sich, wer kann!" und das Heer wirft sich in die wildeste Flucht. Mit
lautem Jubel setzen die Preußen unter General Gneisen au dem Feinde nach
und machen reiche Beute. Kaum entrinnt Napoleon selbst ihren Händen; seinen
Reisewagen, aus dem er entsprungen, samt Hut, Mantel und Degen, Orden
und Kleinodien muß er ihnen zurücklassen. Als Flüchtling kommt er nach
Paris; sein Heer ist vernichtet.
Blücher schrieb vom Schlachtselde aus: „Die schönste Schlacht ist geschla-
gen, der herrlichste Sieg ist erfochten. Ich denke, die Bonapartesche Geschichte
ist nun vorbei." So war es. Die siegreichen Heere der Verbündeten zogen bald
zum zweiten Male in Paris ein, und Napoleon wurde von neuem abgesetzt.
Seine kriegerische Laufbahn war nun zu Ende. Die Verbündeten schickten ihn in
die Verbannung nach der einsamen Felseninsel St. Helena mitten im atlan-
tischen Ozean. Dort lebte er, 800 Meilen entfernt von Frankreich, umgeben
von wenigen Getreuen, noch o Jahre. Er starb am 5. Mai 1821. Seine
Gebeine wurden später nach Paris gebracht und in der Jnvalidenkirche bestattet.
Mit Napoleon waren auch sein Bruder Joseph, König von Spanien,
und sein Schwager Murat, König von Neapel, von ihren Thronen gestürzt
worden. Die früheren Herrscher erhielten ihre Länder zurück. Frankreich kam
wieder an Ludwig Xviii. Alle Eroberungen, die es seit dem Ausbruche der
großen Revolution gemacht hatte, mußte es herausgeben. Österreich und Preußen
wurden in ihrer früheren Größe wiederhergestellt; dazu erhielt Preußen die
Hälfte des Königreichs Sachsen, Teile von Westfalen und die schöne Rhein-
provinz. Das deutsche Kaisertum dagegen wurde nicht wieder ausgerichtet; an
die Stelle des alten Reiches trat der deutsche Bund, zu welchem sich alle
deutschen Staaten vereinigten. Die Fürsten Europas aber, voran die Kaiser
von Rußland und Österreich und der König von Preußen, schlossen eingedenk
der großen Begebenheiten, welche in den letzten Jahren sich ereignet hatten, eine
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