1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
316
53. Das Gottesgericht in Frankreich
wandten des preußischen Herrscherhauses zu sehen. Der König erwiderte würdig,
daß, wie er nicht um die Erlaubnis zur Annahme der spanischen Kraue ange-
gangen sei, er auch nicht ein Verbat in dieser Beziehung erlassen könne. Da
wuchs in wenigen Tagen die Aufregung in Paris bis zu dem Grade, daß alles
nach Krieg verlangte; in Deutschland erwartete man erstaunt, aber ruhig und
fest die weitere Entwickelung der Dinge. Als aber der Prinz Leopold aus
eigenem Antriebe erklärte, er wolle nicht die Schuld tragen, daß zwei mächtige
Nachbarstaaten in einen blutigen Krieg miteinander verwickelt würden, er ver-
zichte vielmehr aus den spanischen Thran, da glaubte jedermann, nun sei das
drohende Ungewitter verteilt, nun sei jeder Anlaß zu einem Kriege beseitigt.
Bald aber trat nur zu deutlich hervor, daß für die Franzosen die spa-
nische Angelegenheit nichts weiter als ein nichtiger Vorwand für ihre Eroberungs-
gelüste gewesen sei. Denn Kaiser Napoleon stellte jetzt durch seinen Botschafter
an den greisen König Wilhelm die Forderung, er solle versprechen, daß auch
in Zukunft der Prinz von Hohenzollern sich nicht wieder um den spanischen
Thron bewerben werde; ja, ein französischer Minister sprach das schmachvolle
Verlangen aus, der König möge sich in einem eigenhändigen Briefe au Napo-
leon wegen des Vorgefallenen entschuldigen. Natürlich wies der ritterliche Wil-
helm diese schamlosen Forderungen würdevoll und fest zurück; sah nun doch mit
ihm das ganze Deutschland klar, daß die Franzosen es nur darauf abgesehen
hätten, unser Vaterland zu entehren und zu demütigen oder es zu berauben.
Aber Napoleon hatte sich in seinen Anschlägen sehr verrechnet. Er hatte
gehofft, die seit 1866 in Preußen einverleibten Provinzen würden zum Abfall
bereit sein, die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden würden
auf seiner Seite stehen oder jedenfalls sich teilnahmlos verhalten: aber die dem
Heldenkönig in Ems widerfahrene Beleidigung weckte in ganz Deutschland, von den
Alpen bis zur Nordsee, die schlummernden patriotischen Gefühle, durch Millionen
zuckte wie mit elektrischem Schlage die Empfindung, daß, wenn Frankreich denn
durchaus den Krieg wolle, das gesamte Vaterland zur heldenmütigen Abwehr sich
erheben und für alte und neue Unbilden zugleich die Abrechnung machen werde.
Am 15. Juli verließ König Wilhelm die Stadt Ems, um sich nach Berlin
zu begeben. Auf dieser Reise mochten wohl bange Sorgen ihn beschleichen,
denn es war vorauszusehen, daß dieser Krieg ein entsetzlich blutiger sein würde,
aber erhebend war die Begeisterung, womit ihm in allen Städten, die er
berührte, vornehmlich aber in seiner Hauptstadt Berlin, die Bevölkerung ent-
gegenjubelte; man fühlte, daß durch die Beleidigung, die ihm die welsche Frech-
heit zugefügt hatte, ganz Deutschland herausgefordert sei, daß das Vaterland
aber aus seinen Hort, den großen und guten König Wilhelm, bauen könne.
Und sofort kamen auch aus Süddeutschland die erfreulichsten Nachrichten: der
ritterliche König Ludwig von Bayern erließ schon am 16. Juli den Befehl
au seine Truppen, sich kriegsbereit zu halten, Württemberg und Baden folgten
bald, das Schutz- und Trutzbündnis von 1866 bestand also seine Probe.
Noch nie war Deutschland so einig gewesen, noch nie waren alle seine
Stämme so sehr von derselben Begeisterung durchglüht. Niemand verhehlte sich
freilich, daß dieser Krieg ungeheure Opfer fordere, ja, weil Napoleon offenbar
schon lange diesen Angriff vorbereitet hatte, mußte man darauf gefaßt sein, daß